EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 10 / 2021
Mit einem Fuß bereits im Herbst (oder auch mit beiden, je nachdem in den Genuss welcher Wetterlage man aktuell kommt…) beginnen sich nun die letzten Ausläufer des Festspielsommers mit den ersten Saisoneröffnungen der neuen Spielzeit zu mischen. Es ist stets eine besonders schöne und immer wieder kribbeln machende Zeit des Jahres, wenn man, vielleicht noch unter den Eindrücken der verschiedenen Festivalhochburgen und ihrer Produktionen stehend, den Blick aufs heimische Opernhaus richten und sich auf die lokalen Kreationen, das vertraute Ensemble und die hinzustoßenden Gäste freuen kann.
Weiter →Eine ideale Zeit also, wieder einmal dankbar für die geerbte Theaterdichte dieses Landes zu sein, die fast allen Bürgern die Zuordnung zu einem „Stammhaus“ ermöglicht und das damit verbundene, unter Umständen jahrzehntelange Miterleben von künstlerischen Entwicklungen, der mit Intendanzen wechselnden Hoch- und Dürrezeiten und der Wege, die Ensemblemitglieder gehen können, von der Wiege eines Opernstudios hinein ins Hauptensemble, und von dort hinaus in die Welt. Immer wieder Sänger und Sängerinnen in eine Weltkarriere begleitet hat auch die Hamburgische Staatsoper, exemplarisch genannt seien Aleksandra Kurzak, Christiane Karg – und natürlich Olga Peretyatko, die nun auch Teil der schillernden Saisoneröffnung war, die die Hansestadt ihren Opernfreunden mit »Hoffmann« beschert hat, nur um direkt prominent nachzulegen mit Sonya Yonchevas (allerdings konzertantem) Rollendebüt als Manon Lescaut, Hui Hes anstehender 100. Tosca Anfang Oktober und Solo-Abenden von Roberto Alagna und Lise Davidsen im November. Es wartet also ein toller Herbst auf die Hamburger. Deutlich ungewöhnlicher und sperriger ging es derweil in der Schweiz zu, wo es mit »Krieg und Frieden« in Genf und »Breaking the Waves« in St. Gallen zu Schweizer bzw. europäischen Erstaufführungen mit tiefgehenden Sujets kam. Begeisterung löste sowohl die unbeschwerte Hamburger Augen- und Ohrenweide als auch das gewichtige Genfer Regietheater aus – es gibt also kein Geheimrezept für das ideale Entrée in eine neue Spielzeit; egal ob ernst oder heiter: Hauptsache gut gemacht.
Es kann also alles so schön sein, das wird einem mit jeder besuchten Vorstellung immer klarer – und auch wenn Corona nach wie vor ein Thema ist, beginnt es, zumindest für den Moment, blasser zu werden: Die anderen Opernbesucher rücken einem endgültig näher (sofern sie nicht eh schon längst wieder direkt neben einem sitzen), sodass wir nicht länger wie versprengte Inselchen etwas linkisch in unseren Reihen umherschauen. Auch das ist eine Umgewöhnung, Abstand kann schließlich auch ganz komfortabel sein, aber wie viel schöner sind vollmundig losbrandender Applaus und Stehende Ovationen, wenn ein Saal gut gefüllt ist, man Schulter an Schulter Applaus spendet und seine Begeisterung teilt. Die ersten Häuser haben nun vorgelegt, zahlreiche Hochburgen folgen noch – München etwa wird zum Auftakt »Die Nase«, die Semperoper »Norma«, die Deutsche Oper Berlin die »Götterdämmerung« präsentieren, ehe in dieser Spielzeit dann drei zyklische Vorstellungsserien von Stefan Herheims »Ring«-Deutung gezeigt werden sollen.
Wir freuen uns auf diese und viele weitere Highlights, denn wie unsere Titelkünstlerin Emily D’Angelo es ganz richtig auf den Punkt bringt: „Das Leben ist zwar kurz, aber andererseits irgendwie auch lang.“ Genießen wir also jeden Moment. Eine schöne Lektüre zwischen Spätsommer und Herbst wünsche ich Ihnen!