EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 4/2019
Ein neuer Raum für die Kultur: digital, vielfältig, fachkundig kuratiert und jederzeit abrufbar. Das klang vielversprechend. Seit Mitte Februar ist „ZDFkultur“ als Bestandteil der Mediathek des Mainzer Senders online. Bestehende Angebote werden von nun an hier gebündelt, eigens produzierte neue Formate eingebunden. Ein virtueller Treffpunkt soll es sein, der auch hochkarätige Partner zusammenführt; von Beginn an dabei: 35 Kulturinstitute, Museen, Theater und Opernhäuser aus allen 16 Bundesländern. Praktisch zeitgleich gingen bei der ARD-Tochter BR-KLASSIK die „klassik shorts“ auf YouTube an den Start; hier sollen in kurzen, dreiminütigen Videos über Infos, Grafiken und sogenannte „Fun Facts“ große symphonische Werke vorgestellt werden. Ein weiteres interessantes Angebot für den Kulturfan hier, lockere Heranführung an potenziell Interessierte dort – so weit, so lobenswert!
Und doch bleibt beides eine Nische.
Weiter →Die Öffentlich Rechtlichen tun sich schwer, wenn es um das Einbinden kultureller Angebote geht. Mit den neuen Projekten umschifft man einmal mehr findig und virtuos die eigentliche Aufgabe: eine ebenso ansprechende wie anspruchsvolle, dabei breit aufgestellte Erfüllung des verfassungsrechtlich vorgegebenen Bildungsauftrags. Obgleich die technischen Möglichkeiten heute besser sind denn je und Aufnahme- wie Übertragungsoptionen in vielen Theatern längst zur Verfügung stehen, sind Schauspiel, Oper und klassisches Konzert nach wie vor wenig präsent im deutschen Fernsehen. Neujahrskonzert und Opernball einmal ausgenommen, finden selbst Topereignisse mit breitenwirksamen Titeln und großem Staraufgebot nur selten einen Sendeplatz im Hauptprogramm, schon gar nicht zur Primetime. Stattdessen fokussiert man weiterhin auf die bewährten Quotenbringer, überlässt die Live-Schaltungen dem Sport (und selbst dies ausgesprochen einseitig). Dem Klassikfan bleiben selektive Einzelmomente, ansonsten tendiert die Programmierung zum Lückenfüllerdasein: Die Ausstrahlungszeiten interessanter TV-Sendungen aktuell im April reichen von 6:05 Uhr in der Früh an einem Dienstag bis hin zu werktags nach Mitternacht. Nur zu Ostern schafft es einmal eine zwei Jahre alte Aufzeichnung von den Salzburger Pfingstfestspielen ins Samstagabendprogramm. Bei den frei zugänglichen Privaten gibt es Kulturprogramme zumeist gar nicht. Wertschätzung sieht anders aus.
Ganz abgesehen von der auch gesellschaftlichen Verantwortung: Wie viel Potenzial bleibt hier ungenutzt! Dass gerade das Musiktheater – die erfolgreichen Kinoübertragungen aus New York oder London beweisen es nachdrücklich – ein unübersehbares Potenzial hat, das man auch breitenwirksam im TV nutzen kann, ist nichts Neues. Auf Arte – der deutsch-französische Nischensender freute sich 2018 über einen weiteren kleinen Zugewinn am Marktanteil auf nunmehr 1,1 Prozent – gibt es nicht umsonst seit dieser Saison eine Opern-Offensive. Auf den Bühnen findet sich in der Tat alles. Weltbekannte Stars in einem breitenwirksamen, hochemotionalen Liebesdrama, ein Polit-Thriller mit brisanter, tagesaktueller Thematik, eine anspruchsvolle Rarität als ästhetisches Gesamtkunstwerk, beliebte Klassiker und hochmoderne, innovative Überraschungen, unterhaltsame Shows und knallbunte Revuen… Die Summierung unserer Berichte in dieser April-Ausgabe könnte man durchaus auch als TV-Programmschema lesen. Die beiden großen deutschen Muttersender, die wir alle durch Beitragspflicht mitfinanzieren, schauen derweil weiterhin penetrant auf die Quote, nicht selten auf Kosten von Qualität selbst im Erprobten und Bewährten. Nur ein Krimi, eine Rätselrunde, eine Kochshow pro Woche weniger, und schon wäre kostbare Sendezeit frei für ein wenig Kultur. Und wenn es nur wenige Minuten sein dürfen: Warum nicht zumindest eines der neuen Kurzformate wie Moritz Eggerts schrägen Schnellsprech-Opernführer („für Ungeduldige“) als unterhaltsame Einsprengsel ins Hauptprogramm nehmen?