Editorial
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 12/2015
Hand aufs Herz: Wann sind Sie zuletzt in die Oper gegangen mit dem festen Vorsatz, andere mit Ihrer Begeisterung und Leidenschaft für das Musiktheater anzustecken? Den Freund, die Kollegin, die Kinder, die Enkel? Mir selbst macht das immer wieder großen Spaß, es weckt nicht nur meine Kreativität und Motivationslust, sondern fordert gelegentlich auch Argumentationskunst und Fachwissen heraus, wenn es gilt, einem Einsteiger in einfachen Worten die komplexe Handlung, den historischen Hintergrund, die musikalische Struktur oder auch schon mal das Regiekonzept zu erklären.
Weiter →Vorweihnachtszeit, Festtage und Jahreswechsel sind ideale Gelegenheiten für gemeinsamen Kunstgenuss, kulturelle Geschenke und natürlich auch für das Pläneschmieden. Wahrscheinlich haben auch Sie, liebe Leser, schon so einige konkrete Gedanken dazu im Kopf, haben entsprechende Geschenkideen parat, planen Konzertbesuche oder Opernreisen als besondere Überraschungen für den Gabentisch. Vielleicht steht auch die eine oder andere Eintrittskarte auf ihrem eigenen Wunschzettel? An attraktiven Optionen mangelt es nicht, man muss sich nur entscheiden. Leichtes oder Ernstes, Rarität oder Klassiker, Lesestoff oder Silberscheiben? So manche Anregung dazu finden Sie in dieser Ausgabe mit ihren diesmal so bemerkenswert zahlreichen Berichten von Premieren selten aufgeführter Werke, den umfangreichen Rubriken voller spannender Termine, dem großen Medienteil – und natürlich dem traditionellen Bestellschein für das beliebte Weihnachts-Abo vom „Opernglas“.
Für das Publikum von morgen haben wir diesmal eine eigene Übersicht erstellt. Musiktheater für Kinder und Jugendliche: Was läuft wo im Dezember? Faszinierend, wie üppig und vielfältig dieses Angebot allein im deutschsprachigen Raum geworden ist! Und man kann ja nicht früh genug beginnen; gerade ein in der Kindheit gewecktes Interesse für die musischen Dinge sorgt nicht selten für eine lebenslang anhaltende Begeisterung, oft verbunden mit aktivem Musizieren und dem Engagement in Chören und Orchestern. Und doch warten wir hier auf Impulse und nachhaltige Aktivitäten seitens der Schulen zumeist vergebens. Was für vertane Chancen!
Geben, Teilen, Helfen – christliche Gebote, derer wir uns gerade zur Weihnachtszeit fast reflexartig erinnern. Die vergangenen Monate haben eindrucksvoll gezeigt, dass sie eben doch auch über das ganze Jahr Gültigkeit für uns haben. Ein jeder von uns mag anders auf die aktuell so elementaren Herausforderungen einer sich dramatisch verändernden Welt reagieren. Nicht nur die Not der Flüchtlinge geht uns alle an; viele, sehr viele helfen. Auch hier stellen sich die Theater wie überhaupt praktisch die gesamte Kulturszene sehr bewusst und nachdrücklich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung – mit großangelegten Spendenaktionen und deutlichen politischen Signalen, mit integrationsfördernden, gleichzeitig fast spielerisch und lebensnah unsere Kultur vermittelnden Angeboten, aber auch mit ganz pragmatischer, direkter Hilfe in Form von nächtlichem Asyl im Foyer. Die vielen Patenschaften, die derzeit von etlichen Theatern und Opernhäusern vermittelt werden, leisten dabei einen nicht unbedeutenden Beitrag. Das Prinzip ist einfach, der persönliche Einsatz des Einzelnen vergleichsweise gering, der beiderseitige (und gesamtgesellschaftliche) Zugewinn ein Vielfaches höher: Zwei Karten kaufen, eine davon verschenken, gemeinsam Kultur erleben. Das passt doch sehr gut in den Geschenkemonat Dezember (und ließe sich als Prinzip leicht variieren und erweitern). Wenn Sie sich hier engagieren möchten, fragen Sie an Ihrem Theater einfach einmal nach.
Auf die großen, brennenden Fragen dieser herausfordernden Zeit antwortet die Kunst fraglos am nachhaltigsten mit ihren ureigenen Mitteln. Auch die Oper hat seit je auf politische, religiöse und gesellschaftliche Entwicklungen reagiert. Die Werke reflektieren und kommentieren, Interpreten deuten und beziehen Stellung, vermitteln Botschaften oder – und das gehört ganz wesentlich dazu – lenken ab, unterhalten, bieten Erbauung ebenso wie intellektuell anregenden Genuss. Wie sich unsere Theater und Opernhäuser hier positionieren, wird uns auch im kommenden Jahr weiterhin beschäftigen. Für den Moment aber gilt es, innezuhalten und vielleicht auch eine ganz persönliche Bestandsaufnahme zu machen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen im Namen der gesamten Redaktion eine beglückende, besinnliche Weihnachtszeit!