EDITORIAL
Autor: Y. Han · Ausgabe 11/2019
Immer wieder, gerade auch in unseren Interviews, wird deutlich, welches Glück wir hierzulande haben mit der international ihren Vergleich suchenden Dichte an Musiktheatern. Sie enthebt einen vielerorts der Notwendigkeit, unter großem Aufwand in die nächsten Metropolen reisen zu müssen, um überhaupt in den Genuss von Oper zu kommen. Es ist ein Privileg und großes Glück, sie fast überall mitten unter uns zu haben – wir müssen das Angebot eigentlich nur annehmen. Die Grazer Intendantin Nora Schmid thematisiert diesen Sonderstatus kurz in dem aufschlussreichen Gespräch, das wir mit ihr kurz vor einer »Don Carlo«-Premiere führen durften, und auch unsere aus Moldawien stammende Titelkünstlerin Valentina Nafornita spricht in der Rückschau auf ihre Anfänge an, wie abgeschnitten vom Musiktheater sie in ihrer Jugend auf dem Land war, sodass als einziger Ausweg der Umzug in die Hauptstadt blieb.
Weiter →Verglichen damit erfreuen wir uns in Deutschland einer wahren Luxussituation; für den reisefreudigen Opernfreund bedeutet das aber auch das Luxusproblem der Qual der Wahl, wie sie „schlimmer“ kaum sein kann, denn wohin das Auge auch blickt, überall gilt es ein Kaleidoskop an Neuem oder Rarem zu entdecken, Fäden wiederaufzunehmen (wie bei den »Ring«-Fortsetzungen, die in Kassel und Oldenburg die Spielzeiten miteingeläutet haben) oder vermeintlichen Klassikern in neuem Gewand wiederzubegegnen und ungekannte Facetten darin aufgezeigt zu bekommen, die einen auch immer wieder überraschen können, selbst wenn man eine Oper doch bereits so gut zu kennen glaubte. Und doch lernt man sie wiederholt von einer neuen Seite kennen, fühlt sich berührt, als wäre es das erste Mal – gerade so wie man in einem Roman, den man bereits unzählige Male gelesen hat, zuweilen ganz neue Aspekte entdeckt und aufs Neue tief bewegt ist.
Wir haben wie so oft den Blick noch etwas ausgeweitet und in dieser Ausgabe abermals eine kleine Reise um den Globus unternommen – zu den Saisoneröffnungen in New York mit einer neuen »Porgy and Bess« und Muscat, wo José Cura in einer »Carmen«-Wiederaufnahme zu Gast war, zur neuen, im so heutigen „Influencer“-Milieu angesiedelten »Traviata« nach Paris, zu einem weiteren unbekannten Dvořák beim Prager Dvořák-Festival, das auch in diesem Jahr mit einer spannenden Ausgrabung aufwarten konnte, und nach Wien, wo der erste Britten seit achtzehn und der erste »Midsummer Night‘s Dream« seit unglaublichen 55 Jahren zu erleben war: die ganze Welt der Oper auf knapp hundert Seiten.
Wir hoffen, dass auch Sie Freude an dieser Reise durch den Opernkosmos haben werden, und so wünsche ich Ihnen zu den goldenen Herbsttagen spannendes und inspirierendes Lesevergnügen!