
NACHRUF
CHRISTOPH VON DOHNÁNYI||
Es war ruhig geworden um ihn und das nicht zuletzt aufgrund gesundheitlicher Probleme, die letztlich immer wieder geplante Auftritte und Projekte nicht zustande kommen ließen. Beim Brucknerfest in Linz beispielsweise oder am Pult der Berliner Philharmoniker, die bis zuletzt auf eine konzertante Opernaufführung von Bela Bartóks »Herzog Blaubarts Burg« hofften mit Christoph von Dohnányi, dem Enkelsohn des berühmten ungarischen Komponisten Ernö von Dohnányi, bei dem er unter anderem auch studiert (seinerzeit an der Florida State University) hatte.%weiter%Am 8. September 1929 in Berlin geboren als Sohn von Hans von Dohnanyi, dem studierten Juristen, der zu Beginn des 2. Weltkrieges in der Position eines Sonderführers für das von Wilhelm Canaris geleitete Amt Ausland/Abwehr arbeitete, das gegen Kriegsende zu einem Zentrum des Wiederstandes gegen Adolf Hitler wurde. Christoph von Dohnányi war 15 Jahre alt, als sein in der Haft schwer misshandelter Vater am 9. April 1944 vom Nazi-Regime hingerichtet wurde, und begann bald nach Ende des Krieges zunächst auch ein Jurastudium in München, von wo er aber bereits 1948 zur Hochschule für Musik und Theater in München wechselte: Komposition, Klavier und Dirigieren waren seine Fächer. Dann ging es Schlag auf Schlag in einer rasanten Aufstiegskarriere: Korrepetitor an der Bayerischen Staatsoper, Richard Strauss Preis der Stadt München, Assistent von Sir Georg Solti an der Oper Frankfurt, 1957 – viel zitiert – der jüngste Generalmusikdirektor Deutschlands in Lübeck (bis 1963). 1968 zunächst GMD in Frankfurt und bald darauf bis 1977 Intendant der Frankfurter Oper, wo er nicht nur seine treuen und hochkompetenten Mitarbeiter zu einem Team formte, sondern mit ihnen gemeinsam auch den Grundstock für einen hochklassigen „Sänger-Kader“ zusammen engagierte, der maßgeblich auch zur großen goldenen Zeit an der Hamburgischen Staatsoper von 1977 bis 1984 führte. Man darf im Zusammenhang mit seinem Frankfurter Team an Peter Mario Katona, Klaus Schultz, Gerard Mortier und Peter Dannenberg erinnern, die bis auf Schultz in Hamburg die organisatorischen Messlatten so hoch setzten, die Haus und Stadt beinahe überforderten, aber im Anspruch an die Qualität von weit in die Zukunft weisenden innovativen und konzeptionell hochklassigen Operninszenierungen und deren Besetzungen unvergesslich blieben. Luc Bondy inszenierte »Wozzeck« und »Lulu«, Achim Freyer »Die Zauberflöte«, Herbert Wernicke heiß umstrittene (50 % Pro :50 % Kontra) »Meistersinger«, er selbst »Fidelio«, und CVD, wie er später in Cleveland genannt wurde, garantierte am Pult der ihn mit Hass-Liebe begegnenden Philharmoniker ein ums andere Mal für an der Elbe nicht gewohnte Präzision, organisatorisch und musikalisch, wie es für seinen hohen intellektuellen Anspruch Voraussetzung war. In dieser Phase durften wir ihn näher kennen und auch – abgesehen von rechtlichen Scharmützeln – schätzen lernen. Ironie des Schicksals, dass auf einer Publikumsdiskussion sein Impuls dazu beitrug, 1980 „Das Opernglas“ zu gründen, dessen Jubiläum mit der 500. Ausgabe er um wenige Tage nur überlebte, als er an meinem diesjährigen Geburtstag am 6. September hochbetagt verstarb. Auch das ruft Erinnerungen wach an Strauss’ »Die Frau ohne Schatten mit Birgit Nilsson, «Verdis »Macbeth« mit Grace Bumbry und Piero Cappuccilli, »Fidelio« mit Hildegard Behrens, »Meistersinger« mit Hans Sotin, aber ebenso an glanzvolle Premieren, die er nicht selbst dirigiert hat, wie »Manon Lescaut« mit Eva Marton und Plácido Domingo oder ganze Wochen und Monate mit stargespickten Repertoireaufführungen, die den Enthusiasten kaum einen Abend daheimsitzen ließen. Seiner großen Hamburger Zeit schloss sich das Cleveland-Orchestra an, das sein dortiger Vorgänger und ebenfalls ungarischer Abstammung, Georges Szell, zu einem der ersten Klangkörper in den USA geformt hatte. Hier nahm er symphonisches Repertoire – in nahezu 100 Einspielungen – auf.
In Europa unvergesslich bleiben auch seine mehr als 100 Dirigate mit den Wiener Philharmonikern (Debüt 1966) auf Tournee, im Musikvereinssaal oder auch an der Wiener Staatsoper. Vergleicht man eines seiner Paradestücke, die Ouvertüre zu Wagners »Meistersingern« in den Live-Aufnahmen aus Wien und Hamburg, so verschwindet der Unterschied im Niveau der Orchester, weil Dohnányi beide Schichten in der musikalischen Textur auf gleiche Weise herausarbeitet, meisterlich bedient und bei aller der Moderne zugewandten Sachlichkeit, die ihn von Schoenberg und bis Ligeti maßgeblich in seinem analytischen Musizieren geprägt hat, die Brücke zur österreichisch-ungarischen Traditionen nicht ganz verleugnen kann.
Wortgewandt konnte er Florett über jedes Thema fechten, was meist tiefere Wirkungen hinterließ als vordergründige Beschimpfungen, und der mitunter etwas herrenreiterhafte Stil konnte liebenswert werden, weil es hinter der Fassade doch menschelte. Auch das war einer seiner vielen Ansprüche, dies als Gesprächspartner zu erkennen.||M. Lehnert||(Foto: Ito)