Editorial
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 10/2016
Gute Nachrichten aus Berlin? Das ist doch mal was! Mitte September konnte die Staatsoper Unter den Linden an ihren angestammten Ort zurückkehren. Zwar zunächst nur mit einem ersten, einmonatigen Testbetrieb für Intendanzgebäude und Probenzentrum, aber immerhin...
Weiter →Die eigentliche Wiedereröffnung des Knobelsdorffer Prachtbaus ist inzwischen auf den Deutschen Nationalfeiertag am 3. Oktober 2017 datiert worden; die Sanierung wird dann von drei auf sieben Jahre in der Dauer und von zunächst veranschlagten 239 auf (aktuell) 400 Mio. Euro in Sachen Kosten angeschwollen sein. Aber Hauptsache fertig! So regierte an der Spree zumindest in diesem Fall kurzfristig der schiere Optimismus, kann man doch jetzt mit berechtigter Freude in eine Saison starten, die tatsächlich die letzte in der akustisch doch arg problematischen Interimsspielstätte Schiller Theater sein soll.
Hoffentlich geht es diesmal gut! Auch die Oper Köln hatte ja im vergangenen Jahr frohgemut einer bevorstehenden Wiedereröffnung ihres Hauses am Offenbachplatz entgegengesehen und bereits voller Elan die dazu passende Saisonplanung vorgestellt – um dann doch einen umso spektakuläreren Rückzieher machen zu müssen. Seitdem spielt man wieder in Ersatzspielstätten. Man möchte es vermuten, doch das Problem ist durchaus kein originär deutsches Dilemma, wiederholt sich das Drama doch derzeit, noch kurzfristiger, an einem anderen traditionsreichen europäischen Haus: Die Brüsseler Monnaie-Oper ist gerade erst zum Saisonauftakt mit der Hiobsbotschaft einer Bauverzögerung konfrontiert worden, obwohl man eigentlich schon im Dezember ins Stammhaus zurückkehren wollte. Die ursprünglich auf nur sechs Monate angesetzte Renovierung wird sich um fast ein Jahr verlängern, der Spielplan muss entsprechend neu justiert werden. Nach einer vorsichtigen Prognose will man die Wiedereröffnung nun im September 2017 feiern; aktuell haben die Belgier dafür die Uraufführung einer neuen Oper von Philippe Boesmans vorgesehen: »Pinocchio!« – Hoffentlich wächst in der Zwischenzeit niemand anderem eine lange Nase.
Zweckoptimismus allerorten. Längst stellt man sich bei jedem neu angedachten Bauvorhaben, sei es Neubauprojekt oder Sanierungsfall, die bange Frage, wie weit denn dieses Mal die Sache aus dem Ruder läuft. Warum nur ist es seit Jahren nicht möglich, derartige Projekte in Pläne mit tatsächlich realistischem Finanz- und Zeitrahmen zu fassen – und diese Vorgaben dann auch (zumindest halbwegs) einzuhalten? Es ist bemerkenswert, wie souverän und professionell dagegen in den meisten betroffenen Theaterbetrieben reagiert wird, insbesondere auch seitens des künstlerischen Personals. So viel Einsatzwillen, Kreativität, Spontaneität, Flexibilität wünschte man sich in anderen Berufszweigen.
Dass auch das Publikum hier zuweilen arg gefordert ist, wird gern übersehen. Im Zuge mancher Notfallpläne werden Nachsicht, Geduld und Durchhaltewillen schon mal über Gebühr strapaziert – vom Groll des Steuerzahlers in uns ganz zu schweigen. Nicht jeder Klassikfan ist da bereit, alle erzwungenen Umwege mitzugehen. Es verwunderte nicht, dass die Abonnentenzahlen der Duisburger Philharmoniker dramatisch einbrachen, nachdem die damals doch gerade erst eingeweihte Mercatorhalle 2012 kurzfristig wieder geschlossen werden musste. Die ist inzwischen wieder auf – der Konzertsaal der Lübecker MuK,1994 eingeweiht, dagegen seit einem Jahr zu; Grund hier: ein einsturzgefährdetes Dach. Dass auch von Santiago Calatravas ikonografischem Opern-Ei in Valencia (eröffnet 2005) längst die Kacheln aus der schillernd-weißen Außenhaut purzeln, ist da kein wirklicher Trost, schließlich kann dort immerhin gespielt werden. Hoffen wir, dass bei den nächsten, mit Spannung und Sehnsucht erwarteten Neueröffnungen, namentlich in Dresden (Staatsoperette, Dezember 2016) und Hamburg (Elbphilharmonie, Januar 2017) nun endlich alles glatt läuft!