EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 10/2014
Die neue Saison hat kaum begonnen, da geht es an einigen Opernhäusern schon so richtig zur Sache. Nicht immer stehen dabei allein die künstlerischen Belange im Vordergrund.
Weiter →Die Wiener Staatsoper musste überraschend ohne Generalmusikdirektor in die Spielzeit starten; der schon seit einiger Zeit schwelende Dissens zwischen Operndirektor Dominique Meyer und Franz Welser-Möst gipfelte abrupt in dessen sofortigem Rücktritt, gleichzeitig sagte er alle Dirigierverpflichtungen am Hause ab. Ausgerechnet zu Saisonbeginn ist die Intendanz also kurzfristig zu einigen anspruchsvollen Besetzungspirouetten gezwungen; ein Paukenschlag – dem inzwischen ein kleines Trommelecho nachgefolgt ist, denn auch Bertrand de Billy hat wenige Tage später seine Dirigate an der Wiener Staatsoper zurückgegeben. Dessen (vier) hinterlassene »Fledermaus«-Vorstellungen sind allerdings eine Marginalie angesichts der 34 vakanten Dirigier-Termine, die der flüchtende GMD Welser-Möst hinterlassen hat. Da dürften Bemühungen um eine kompetente Neubesetzung des Postens an sich nur eine nachgeordnete Rolle spielen, schließlich ist das Haus auch immer wieder ohne „General“ ausgekommen.
Im Zorn geschieden sind an der Wiener Staatsoper schon ganz andere Kaliber, von Karl Böhm über Herbert von Karajan zu Lorin Maazel, allesamt begleitet von mittelschweren bis starken Beben, die nicht nur die österreichische Hauptstadt bis ins Mark erschüttert haben. Das scheint beim aktuellen Rücktritt weniger der Fall zu sein. Zu sehr halten sich in den Reaktionen am Haus und in der Musikszene Entsetzen und Erleichterung die Waage. Da hat der Finanz-Skandal am Wiener Burgtheater, dessen vorläufiger Höhepunkt mit der Entlassung von Direktor Matthias Hartmann gerade einmal ein halbes Jahr zurückliegt, ganz andere Schockwellen ausgesendet. In Summe sind das dennoch zwei hochsensible Personalfragen zu viel für die stolze Kulturnation Österreich, die sich in ihrem Selbstverständnis doch gerade auf diese beiden Institutionen so gern und nachdrücklich beruft.
Bei den Salzburger Festspielen, drittes Schwergewicht in der Trias der ganz großen Kultur-Leuchttürme des Landes, ist dagegen mit dem jetzt ausgeklungenen letzten Festspielsommer des scheidenden Intendanten wieder etwas Ruhe eingekehrt. Der -optimistische Tenor lautet allenthalben: Der Skandal liegt hinter uns, die Zukunft ist – mit einer interimistischen Lösung bis 2016 und einem neuen Leiter ab 2017 – gesichert; auch wichtige Sponsoren-Verträge wurden verlängert. Alexander Pereira dagegen hat sich bei seinem Wechsel von Salzburg nach Mailand schon vor dem eigentlichen Amtsantritt in Italien beträchtliche Probleme eingehandelt, die just mit seiner bisherigen Tätigkeit (zu) sehr zusammenhingen. Die (kostenpflichtige) Übernahme von gleich mehreren Salzburger Produktionen an die Scala war dem Aufsichtsrat dann doch suspekt. Der etwas andere „coup de théâtre“ hat Pereira nun einen ordentlichen Dämpfer beschert und seinen Vertrag von ursprünglich sechs auf ein einziges Jahr verkürzt, mit Option auf Verlängerung – so die jetzt beginnende Saison gut läuft. Die gute alte Scala, die längst stärker von ihrem einstmals legendären Ruf als von aktuellem Ruhm zehrt, könnte das dringend gebrauchen, nicht nur im Hinblick auf die in wenigen Monaten beginnende EXPO 2015 in Mailand.
Auch in Deutschland, man hätte es lieber verdrängt, hatte es zu Beginn dieses Jahres einen handfesten Opernskandal gegeben. Serge Dorny, dem noch vor Amtsantritt in Dresden fristlos gekündigt worden war, hätte jetzt im September seine erste Saison an der Semperoper beginnen sollen. Nun will man offiziell erst in diesem Herbst mit der Suche nach einem Nachfolger beginnen. 2014 scheint also das Jahr des spektakulären Stühlerückens zu sein. Da passt es betrüblicherweise ins Bild, dass über den Sommer die Intendanz am Anhaltischen Theater Dessau neu ausgeschrieben und André Bücker, der sich jahrelang vehement und erfolgreich für den Erhalt des Theaters (und dessen Qualität) eingesetzt hatte, kurzerhand ausgebootet worden ist. Er könne sich ja neu bewerben, hieß es mit beängstigender Arroganz aus dem Rathaus. Das wird Bücker, wie er jetzt entschied, nicht tun. Keine guten Nachrichten aus der Bauhaus-Stadt, zumal auch der GMD-Posten nach Ende der aktuellen Saison vakant sein wird. Und dabei hatte man doch gerade erst einen phänomenalen Start in diese Spielzeit hingelegt: Aufgrund eines Gewitters waren die zahlreichen Openair-Gäste des traditionellen Eröffnungskonzertes Anfang September kurzerhand ins Trockene, sprich ins Theater eingeladen worden. Resultat: ein übervolles Haus und überschwängliche Emotionen. Was, liebe Kulturpolitik, will man mehr?