EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 09/2024||Der Juli ist wie immer im Nu vorbei und somit auch die traditionelle Ruhepause, in die wir zusammen mit den ihre Spielzeiten beendenden Theatern gehen – wobei von „Ruhe“ kaum die Rede sein kann bei dem dicht gesteckten Programm, mit dem der Sommer aufwartet und Liebhaber des schönen Gesangs wie auch Freunde des großen Bühnenspektakels europaweit zu sich lockt. Eine entsprechend seitenstarke Lektüre geben wir Ihnen, liebe Leser, somit jetzt mit auf den Weg, rechtzeitig bevor die ersten Häuser ihre Pforten zur neu beginnenden Spielzeit öffnen und der Kreislauf ganz nach dem Motto „alle Jahre wieder“ von vorne beginnt.%weiter%
Der Sommer und folglich auch dieses Heft ist wie so oft ein schöner und abwechslungsreicher Querschnitt durch alles geworden, was das Genre Musiktheater aufzubieten hat – und all der Tugenden, ästhetischen wie intellektuellen Ansprüche und augenfälligeren Reize, die man in der Breite mit der Oper assoziieren kann. Der Festspielsommer ist das große Becken, wohin es den Liebhaber, Kenner, Puristen, aber auch den Neuling jedes Jahr aufs Neue zieht und wo ein jeder fündig wird, sich gut unterhalten oder gar begeistern, aber auch enttäuschen oder verwirren lassen kann. In den Wochen, in denen die Oper einmal nicht in der Anonymität ihres Alltagsbetriebs operiert, sondern es dank der verlässlichen Schlachtschiffe unter den Festivalhochburgen sogar mal wieder in die ganz große überregionale feuilletonistische Berichterstattung schafft, stellt die Kunstform sich in einer recht interessanten Dichte zur Schau und Diskussion; und während es beispielsweise in Bregenz und Bayreuth sehr anspruchsvoll zuging, warf Verona, wie man es von der Arena gewohnt ist, das verlässliche Pfund spektakulärer, massentauglicher Bilder in die Waagschale. Der Autor Daniel Kehlmann, selbst Sohn eines Theaterregisseurs, beschäftigte sich in einem Interview kürzlich recht ausführlich und auf ganz interessante Weise mit der Frage, wie ansprechendes Theater aussieht, und dem komplexen Begriff der Werktreue – und auch wenn er sich in dem Gespräch konkret aufs Theater bezog, ließ vieles sich auch auf die Cousine Musiktheater übertragen; warum tun wir uns mit „werktreuen“ Interpretationen so schwer, beziehungsweise, warum reicht es uns so oft nicht, ein Stück ganz aus seinem Text, seiner Musik heraus zu erzählen? Und überhaupt: Wo endet Werktreue denn?
Das ganze Spektrum zwischen diesen beiden Polen finden Sie auf den nachfolgenden Seiten – sie bilden ab, was Oper alles kann, dokumentieren hier und da aber auch, wo Ideen nicht aufgehen oder bereits zur Genüge geritten worden sind, und dass es manchmal gar nicht des fummelig verkopften Konzepts bedarf, um Oper wirkungsvoll zu erzählen. Aber das ist doch immer wieder das Schöne am Festspielsommer – jeder kann sich seine Rosinen herauspicken, seine persönlichen Highlights ausfindig machen, die Chance zu Neubegegnungen und Experimenten nutzen.
Wir haben die zurückliegenden Wochen sehr genossen – und erwarten nun, inspiriert und erfrischt von all diesen verschiedenen Eindrücken, den bereits in den Startlöchern stehenden Eröffnungsreigen der neuen Spielzeit, die für Sie zu begleiten uns auch in diesem Jahr ein großes Vergnügen sein wird.||
Ihre Yeri Han