EDITORIAL
Autor: Y. Han · Ausgabe 09/2021
Wir sind zurück aus der Sommerpause – wobei das Wort „Sommerpause“ genau genommen nicht ganz zutreffend ist, schwärmen wir zwischen den Spielzeiten doch in alle Richtungen aus, um uns mit einer prallen Festival-Ausbeute bei Ihnen zurückzumelden. Auch dieser Pandemie-Sommer war wieder ein guter, der europaweit viel Programm, darunter auch die „light“-Rückkehr der Bayreuther Festspiele mit reduzierter Besucherzahl, ermöglicht hat, mancherorts waren Aufführungsbesuche sogar ganz ohne die in Vorstellungen doch auch strapaziöse Maskenpflicht möglich, strenge Kontrollen von Impf-, Genesungs- oder Testnachweisen vorausgesetzt, wie sich versteht.
Weiter →Wir alle sind an diese Regularien inzwischen so gewöhnt – Veranstalter bieten schon längst reibungslose Abläufe wie am Schnürchen und diesen wird von den herbeiströmenden Besuchern mit absoluter Selbstverständlichkeit begegnet. So mancher wird inzwischen aber sicherlich auch schon die Erfahrung gemacht haben, dass die Schere im Umgang mit Abständen auseinanderzuklaffen beginnt. Im bulgarischen Varna beispielsweise sitzen die Gäste bereits wieder dicht an dicht, schütteln sich begeistert die Hände, in St. Petersburg verströmen die zum Bersten gefüllten Konzert- und Opernsäle vorübergehend die Illusion, dass Corona vorbei sei, und auch im Passionsspielhaus von Erl kam man sich deutlich näher, als man es zuletzt gewohnt gewesen war, und das sogar ganz ohne Maske! Hin und wieder hört man dazwischen den Satz „Wie normal das alles geworden ist!“ – und fragt sich bei der Gelegenheit in der Tat, wie schnell die Rückumgewöhnung in die alte Normalität uns wohl gelingen wird, nachdem wir zwei Jahre unter Einhaltung von Abstandsregeln, getrennt von mehreren Plätzen und Reihen voneinander Musiktheater erlebt und gelebt haben. Distanzen prägen uns, schließlich ist der Mensch nicht als Insel, sondern als Gemeinschaft brauchendes Wesen gemacht.
Keine Auflage aber kann musikalisches Glück trüben, selbst wenn darunter bei hochsommerlichen Temperaturen der Schweiß in Strömen rinnt und das Atmen zum Akt werden kann. Dass Musik symbolisch stehen kann für Gemeinsamkeit, Solidarität, Teamgeist ist während der zurückliegenden Monate immer wieder betont worden. Und auch wenn die Aussage, dass Musik darüber hinaus auch die Kraft hat zu heilen, manchem übertrieben pathetisch vorkommen mag, ist es vielleicht trotzdem ratsam, dem einen gewissen Raum einzuräumen, denn diese Zeiten, in denen sich menschliche Abgründe offenbart haben, Scheren zwischen Gesellschaften erschreckend weit auseinandergegangen sind, man Mitmenschen mit anderen Augen zu sehen begonnen hat, sind heilende Faktoren leider bitter notwendig. Lassen Sie uns also nicht den Kraftakt vergessen oder als selbstverständlich ansehen, mit dem im zweiten Corona-Jahr in Folge allen Widrigkeiten zum Trotz Opernfestspiele auf die Bühnen gehoben, spannende Neuinszenierungen einstudiert und aufgeführt worden sind. Letzten Endes ist es ein Privileg, Kultur zu seinen Grundbedürfnissen zählen zu können.
Ich hoffe, dass diese September-Ausgabe mit ihrem ausgiebigen Überblick über die bisherigen Festspielfreuden einige lebhafte Eindrücke des Sommers vermittelt – der ja noch lange nicht vorbei ist! „To be continued…“, wie es so schön heißt.