
EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 06/2025|| Viele von Ihnen, liebe Leser, freuen sich immer ganz besonders über die Interviews mit den „Granden“ der Vergangenheit – und auch für uns ist so ein Erfahrungsbericht aus dem fast schon unerschöpflichen Fundus einer großen Gesangskarriere – luxuriöses „name dropping“ inklusive – immer wieder eine spannende Gegenüberstellung, die nicht nur für die Zeitgenossen der Sprecher viel anzubieten hat, sondern auch für alle jüngeren Opernfans. In einer Zeit, in der vieles stark überdacht und hinterfragt wird, wirft auch dieses Spektrum zwischen „alt und jung“ ein interessantes Schlaglicht jenseits des oftmals verklärte Narrativs vom „goldenen Opernzeitalter“ auf. Was war damals wirklich besser? Was dagegen hat sich heute zum Besseren gewandelt? Denn ganz sicher ist heute nicht alles schlechter, bei allem Pessimismus. Es hat beispielsweise durchaus etwas Positives, dass die Opernszene sich heute nicht mehr ganz so sehr über überlebensgroße Gallionsfiguren definiert, sondern diffuser geworden ist, analog zur Promi-Landschaft, die sich heute aufgrund von Social Media ebenfalls anders, vielleicht in Teilen nischiger und kurzlebiger, dafür aber auch selbstbestimmter zusammensetzt als früher.%weiter%Macht ist im Musiktheater noch immer recht undurchsichtig verteilt auf eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen, die das Arbeitsumfeld von sehr vielen Menschen bestimmen und prägen können – und ihre Zukunftsaussichten. Da ist es doch schön, dass diese Menschen heute vernetzter sind denn je, einander sichtbar unterstützen, sich füreinander freuen und die unantastbare Diva / der Divo heute eben nicht mehr en vogue ist. In dieser homogenen Masse an Talent und Möglichkeiten eine Karriere zu starten, die sich so verlässlich und langlebig über Jahrzehnte erstreckt wie früher ist freilich schwerer denn je. Wie sticht man erfolgreich aus der Masse heraus, wenn jeder sich in irgendeiner Form präsentieren, produzieren und viele Menschen erreichen kann, während es gleichzeitig immer schwieriger wird, inmitten dieses sich digital inszenierenden Überangebots die langfristige Qualität zu garantieren? Übrigens auch eine interessante Frage an den wild austreibenden „Kulturjournalismus“, bei dem es vielen nur noch um Reichweite und weniger um Qualität zu gehen scheint.
Den Dialog zwischen „damals“ und „heute“ könnte man noch so viel länger und weiter führen – es gibt zahlreiche Beispiele, wie sich aus der Unterhaltung von verdienten Sängerinnen und Sängern und heute wirkenden Künstlern und Theatermachern Schnittmengen noch einmal neu verhandeln und womöglich doch zu kompliziert hinterfragte Themen wieder ein wenig entwirren lassen, im Dienste eines Theaterlebens, das attraktiv und lohnenswert nicht nur für die „Stars“ im Rampenlicht ist, sondern für sämtliche Mitwirkenden und in der Endrechnung hoffentlich auch für den Zuschauer. Nur im Aufeinander-Hören und Miteinander-Reden lässt sich ein gesunder und funktionaler Ort kreieren, der auch weiterhin Menschen anzieht und ihnen den Raum gibt, darin mit gutem Gefühl zu arbeiten und relevante Kunst zu erschaffen.
Die niemals endende Suche nach genau der Bühnensprache, die Menschen fasziniert, bleibt genau das: faszinierend. Und so hoffe ich, dass auch die folgenden Seiten mit wieder einmal tollen Künstlerleistungen, berauschenden Produktionen und facettenreichen Gesprächen Ihnen die ganze Vielseitigkeit des Musiktheaters vor Augen führen können.||
Ihre Yeri Han