EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 5/2019
Gleich vier besondere, höchst unterschiedliche Sängerpersönlichkeiten vereint diese umfangreiche Mai-Ausgabe. Da ist zum einen der Startenor, der sich über die Jahre eine konstant aufsteigende Karriere bis in die Topkategorie aufgebaut hat, wohlüberlegt und mit Weitsicht geplant: Piotr Beczala, nach seinen umjubelten Auftritten als Lohengrin in Dresden und Bayreuth jetzt auch als Wagner-Interpret überall gefragt, will dennoch neue Partien weiterhin mit Ruhe und Verstand angehen – und verrät im Interview gleichwohl spannende Pläne. In Sachen Karriereverlauf und Rollenplanung weiß auch Asmik Grigorian Interessantes zu sagen. Die Salome-Sensation des vergangenen – und vermutlich auch des kommenden – Festspielsommers blickt offen und selbstkritisch auf ihre ersten Karriere-Jahre zurück, gesteht Fehler ein und weiß heute umso besser die relevanten Faktoren für eine erfolgreiche Sängerlaufbahn klar zu erkennen. Und lässt nebenbei die Herausforderungen durchblicken, vor denen eine junge Mutter in diesem besonderen Beruf steht. Kreativität und Begabung sind eben auch im Organisatorischen und in der Bewältigung des täglichen Künstlerlebens gefragt. Das gilt für jede „Liga“, sei es im fordernden Repertoirebetrieb am Stadttheater oder auf den weitreichenden, die internationalen Opernzentren bedienenden Routen der großen Stars.
Weiter →Dass sich Kreativität zudem auch auf weiteren künstlerischen Ebenen Bahn brechen kann, weiß man nicht erst seit den berühmten Porträtzeichnungen und Karikaturen Enrico Carusos – die Lust am Zeichnerischen scheint ohnehin opernnah, teilen doch etliche Bühnenkollegen des aktuellen Opernbetriebs diese Leidenschaft. Unzählige heute vorwiegend als Tonsetzer verehrte Komponisten waren bekanntermaßen auch gefeierte Instrumental-Virtuosen – Antonio Vivaldi an der Violine, Wolfgang Amadeus Mozart am Pianoforte, Anton Bruckner an der Orgel, um nur einige Beispiele zu nennen. Heute denkt man bei Mehrfachbegabungen an so bemerkenswerte Künstler wie Barbara Hannigan, das Multitalent José Cura, oder den allgegenwärtigen, unermüdlichen Opern-Übervater Plácido Domingo. Die Liste ließe sich ohne Weiteres fortsetzen, mit Ausprägungen in den unterschiedlichsten Bereichen. Auch Otto Katzameier, obgleich vom Namen weit weniger bekannt, reiht sich hier ein; der Sänger beweist sich inzwischen auch als Librettist.
Unser Titelkünstler Dietmar Kerschbaum ist ohnehin längst als umtriebiger „Wunderwuzzi“ – um eine passende österreichische Formulierung zu wählen – unterwegs: Tenor, Regisseur, Festspiel-Gründer und -Leiter, seit neustem als künstlerischer Vorstandsdirektor der LIVA zuständig für Brucknerhaus und Brucknerfest in Linz. Anlass, einmal ausführlich nachzufragen und vor Ort einen intensiveren Einblick zu erlangen. Auch mit noch zwei weiteren hoch interessanten Künstlerinterviews, die ganz bewusst auch einmal wieder über den Tellerrand hinausschauen und den Blick weiten.
Viel Lesestoff also für den Mai – von der traditionellen Premierenberichterstattung ganz zu schweigen – auf mehr als 120 Seiten. Lassen Sie sich anregen und inspirieren!