EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 4/2015
„In der Oper sind leider nicht immer alle am gemeinsamen Musizieren interessiert.“ Ein Satz, der nachdenklich stimmt in einem Gespräch mit einem jener vielversprechenden jungen Künstler, die sich zunehmend erfolgreich, aber eben nicht ausschließlich dem Musiktheater widmen und sich damit einen offenen, (selbst-)kritischen Blick von außen bewahren.
Weiter →Ed Lyon hat mit seiner Formulierung ernüchternde Erfahrungen in Worte gefasst, die nicht nur er selbst als aufstrebender, hochtalentierter Tenor sondern mit ihm viele seiner Kollegen jedweder Fachrichtung, Qualitäts- und Bekanntheitsgrade immer wieder machen müssen. Und wir kennen das alle: Wer erinnert sich nicht an den einen oder anderen uninspirierten Opernabend, an dem der Dirigent lediglich sachverwaltend den Takt schlug, das Gesangsensemble nicht harmonierte, einzelne Solisten wie Solitäre ihre vokalen Kreise zogen, vorrangig mit sich selbst, einer bestmöglichen Einzelleistung oder schlicht der schieren Bewältigung ihrer Partien befasst?
Wie wichtig das Miteinander, das aufeinander Hören, das Reagieren, das gemeinsame Atmen ist, weiß jeder, der einmal selbst Musik gemacht hat, sei es im klassischen Bereich, in Rock, Pop, Jazz, Musical oder sonst einem musikalischen Sektor, ob mit einem Instrument oder der eigenen Stimme, in der Band, im privaten Kammerensemble, in einem der unzähligen Laienchöre landauf, landab. Auf dem langen, oftmals steinigen Weg zum professionell erfolgreichen Musikerdasein aber scheint zuweilen die Notwendigkeit des bewussten, konzentrierten Zusammenwirkens mit Anderen ein wenig zu kurz zu kommen. Ein durch die Vielzahl an großen Talenten immer größer werdender Konkurrenzdruck spielt sicher eine entscheidende Rolle. Und durch den permanenten Dauerlauf der international um die Wette jettenden Stars kann es auch schon einmal passieren, dass sich eine Konstellation hochgehandelter Künstler auf der Bühne vereint sieht, die so gar nicht funktionieren will.
In diesem Punkt hat das Ensembletheater einen klaren Vorteil, kennt man sich hier doch in der Regel über viele Jahre, sind durch unzählige gemeinsame Aufführungen perfekt eingespielte Teams entstanden, die sowohl um die Stärken als auch die Schwächen des anderen wissen. Frei arbeitende Solisten finden Vergleichbares in hochkonzentrierter Form über die vier- bis sechswöchigen Probenzeiten einer großen Neuproduktion. Von vielen Opernstars wissen wir, dass sie diesen Kollegenkreis wie eine Familie schätzen und lieben – um sich dann auf der Bühne in positiver Konkurrenz nur umso mehr gegenseitig anzustacheln und künstlerisch zu befeuern. Derartige Momente haben wir alle mit Sicherheit schon einige erlebt. Es sind jene unvergesslichen Erlebnisse, derentwegen wir alle in die Oper gehen.
Ein Liveerlebnis dieser Art ist mit nichts zu vergleichen. Der besondere Reiz liegt ja auch darin, dass man vorher niemals weiß, wann und ob überhaupt etwas ganz Großes geschieht. Welche Sänger besonders begeistern, welche Neuproduktionen überzeugen, wie mitreißend ein Ensemble gemeinsam agiert, lesen Sie traditionell in unseren ausführlichen Berichten – kompetent und zuverlässig seit April 1980. Wenn „Das Opernglas“ in diesem Monat seinen 35. Geburtstag feiert, ist es mir ein besonderes Anliegen, auch einmal einen großen Dank an all unsere einsatzfreudigen, kenntnisreichen, viel und weit reisenden Autoren zu richten. Unzählige Premieren wollen besucht werden, am lokalen Stadttheater ebenso wie an der großen internationalen Bühne. Stapelweise CD- und DVD-Veröffentlichungen müssen gehört und gesehen, Bücher gelesen, Saisonpläne studiert, Interviews organisiert, vorbereitet und geführt werden. Gemeinsam mit diesem engagierten Autorenstamm scheuen wir in der Hamburger Redaktion keine Mühen, Ihnen, liebe Leser, Monat für Monat ein ebenso informatives wie unterhaltsames Extrakt aus dem Besten, Spannendsten, Relevantesten auf, hinter und neben der Opernbühne als üppigen Lesestoff an die Hand zu geben. Wir alle freuen uns auf viele weitere gemeinsame Jahre, für Sie und mit Ihnen, voller aufregender Opernerlebnisse und interessanter Künstlerbegegnungen. Der April als Auftakt ist bereits wieder voll davon!