EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 03/2024| In diesem Jahr stehen wieder große Komponistenjubiläen an – so jährt sich am 4. September Anton Bruckners Geburtstag zum 200. Mal, und zum Jahresende, am 29. November, feiert die Welt, oder zumindest die Opern-Bubble, den 100. Geburtstag von Giacomo Puccini. Zumindest letzteres Großereignis wirft schon länger seine vorfreudigen Schatten voraus, wie sich in einer kuriosen Häufung von »Trittico«-Produktionen an verschiedensten Häusern gezeigt hat – vielleicht ist es der täglichen Beschäftigung mit den Spielplänen unserer dicht gesteckten Theaterlandschaft zuzuschreiben, dass uns mit einer gewissen Déjà-Vu-Haftigkeit das besonders inflationäre Auftauchen von bestimmten Opern ins Auge fällt; und nein, damit sind nicht die einschlägigen Publikumsgaranten à la »Don Giovanni«, »La Traviata« oder »Tosca« gemeint.%weiter%Auch Ihnen, liebe Leser, wird bei relativ sorgfältiger Lektüre vermutlich nicht entgangen sein, dass eine »Pique Dame« plötzlich keine Rarität mehr, sondern im Gegenteil aktuell auffällig häufig in den Spielplänen zu finden ist, oder dass die zwar schon immer populäre »Rusalka« vor allem in dieser Saison geradezu Hochkonjunktur hat. Man könnte nun, wo wir schon beim Thema von Komponistenjubiläen waren, natürlich den 120. Todestag von Antonín Dvořák als Begründung dafür bemühen, dass sich so viele Häuser fast zeitgleich auf sein beliebtestes und erfolgreichstes Musiktheaterwerk stürzen – aber selbst wenn dieser zwar runde, aber gleichzeitig etwas beliebig anmutende Jahrestag der Grund dafür gewesen sein sollte, steht die merkwürdig getimte Häufung an Neudeutungen eigentlich der sehr breitgestreuten Programmatik entgegen, die man für gewöhnlich in den Premierenspielplänen hierzulande gewohnt war. Die ganz großen Opernwagnisse scheinen in der Breite seit der Pandemie nachgelassen zu haben beziehungsweise einem besonderen (finanziell motivierten?) Auswahlprozess gewichen zu sein.
Dass Oper teuer in der Produktion ist, ist bekannt. Gleichzeitig ist das Musiktheater aber auch noch immer die Branche, in der Zeit und Engagement unumgängliche Faktoren sind, um die Exzellenz zu erreichen, die allein am Ende den Langzeit-Erfolg beim Publikum sichert. Sie während dieser Zeit, in der wichtige Weichen nicht nur für weitere Jahrhunderte Oper gestellt werden und gleichzeitig alte Tugenden beibehalten werden sollen, so scharf zu beobachten und permanent zu kritisieren mag unfair sein. Aber so wie Sänger sich selbst ständig die härtesten Kritiker sind, um so lange wie möglich ganz oben dabeibleiben und ihre hohen Standards über Jahrzehnte halten zu können, muss auch die Branche imstande sein, sich selbst immer wieder neu zu überprüfen und Kritik anzunehmen, wenn sie sich erfolgreich so optimieren will, dass sie zukunftsfähig bleibt. Das europäische Musiktheater ist bekanntermaßen auf der Führungsebene leider noch immer eine unzeitgemäß intransparente Industrie mit verworrenen Machtstrukturen und von außen kaum einzusehenden Entscheidungsprozessen; man kann nur hoffen, dass diejenigen, die demnächst ans Steuer berufen wurden, das große Schiff Musiktheater mit Weitsicht und mit dem uneitlen Mut zur Nachhaltigkeit, nicht aber nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ durch die unruhigen Gewässer zu lenken imstande sind.||
Ihre Yeri Han