EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 3/2022
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Es klingt ein bisschen müßig, wenn man betont, wie vielseitig und abwechslungsreich die Welt der Oper ist. Sie, liebe Leser, wissen selbst am besten, dass es nicht nur die schwülstigen Liebesdramen à la »Tosca« und »La Traviata« gibt und auch das Klischee von der „dicken Frau“ längst nicht mehr zeitgemäß ist, sondern schon allein die unterschiedlichen Epochen uns heute eine große Bandbreite an musikalischen Stilen und Ausdrucksmöglichkeiten eröffnen. %weiter% Die vielfältigen Wege und Mittel der szenischen Interpretation und Bühnenästhetik sind da noch nicht einmal eingerechnet. Die Oper ist ein Themenkomplex, mit dem man schier endlos Zeit verbringen, stets Neues und mehr dazulernen kann. Je öfter wir einem Werk begegnen, desto besser lernen wir es in all seinen Fein- und Eigenheiten kennen, und je mehr Unterschiedliches wir auf den Bühnen sehen, desto besser verstehen wir auch die sich gegenseitig bedingenden oder ablösenden Stilausprägungen und Einflüsse im Laufe der Jahrhunderte und können nach und nach ein immer detail- und facettenreicher ineinandergreifendes Kenntnismosaik zusammensetzen.
Die Pandemie wird auch in dieser Hinsicht hier und da erkenntnisreich gewesen sein, als Haus um Haus eigene Wege fand, durch die Krise zu kommen. So haben uns die vergangenen zwei Jahre etwa »Tristane« in reduzierter Orchesterbesetzung oder gar nur mit Klavierbegleitung gebracht, woanders bevorzugt unbekanntere, seltener gespielte Werke ihre Wege auf die Bühnen gefunden. Für unsere Autoren kamen solche pandemiegerecht „intimen“ Arrangements oftmals erfrischenden Neubegegnungen gleich, da hier plötzlich Details präsent wurden, die sonst im altbekannten Klangbild wenig Beachtung durch das Ohr finden oder unbemerkt untergehen. Unsere nun vor Ihnen liegende März-Ausgabe kommt jetzt, wo um uns herum „Freedom-Days“ um sich greifen und auch Deutschland stufenweise Lockerungen erwarten, fast schon einer Reminiszenz an die zurückliegenden zwei Jahre gleich. Sie bildet nicht nur einen spannenden Querschnitt durch die gesamte Opernliteratur sowie von traditioneller Bühnenopulenz bis hin zu modernem Minimalismus ab, sondern schließt durch neue Produktionen, die seinerzeit Lockdown 1 zum Opfer fielen und nun endlich gezeigt werden konnten, weitere durch die Pandemie offen gelassene Klammern. Und auch unsere Interviews vermitteln wieder einmal ganz unterschiedliche Sichtweisen auf das Operngeschehen aus der Insider-Perspektive.
Noch zeichnet sich ein zwiespältiges Bild ab zwischen Vorsicht und Begeisterung im Opernsaal – wir können gespannt sein, inwieweit und vor allem wie schnell die fortschreitenden Lockerungen auch die Opernbranche auf der Bühne wie im Auditorium zurück in die Normalität führen werden und vor allem wie eines Tages der Blick zurück auf das „Überstandene“ ausfallen wird. So mancher wird, das steht traurigerweise fest, nicht länger Teil dieser Opernwelt sein, denn für eine Vielzahl an jungen Sängerinnen und Sängern waren diese zwei Jahre schlichtweg zu lang, um sich bis zum Ende durchkämpfen zu können, wie persönliche Gespräche gezeigt haben. Denken wir auch an diese jungen Menschen, deren Schicksal in neue Bahnen gelenkt wurde, wenn wir im Konzert- und Opernsaal sitzen oder voller Vorfreude die Ankündigungen der Opernhäuser und Festivals verfolgen, die derzeit nach und nach ihre Ausblicke auf die anstehende Spielzeit veröffentlichen. Die Zeichen stehen auf Vorwärts – in diesem Sinne: eine vergnügliche Lektüre!
Ihre Yeri Han