EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 02/2024| Schaut man sich die Weltlage an und den Vormarsch der rechtsnationalen bis faschistischen Kräfte (nicht nur hier, sondern auf der ganzen Welt), ist man ernüchtert-versucht, einfach das Editorial des vergangenen Monats oder der November-Ausgabe wortgleich neu abzudrucken. Aber: Es geht hier dankenswerterweise um die erbauliche kleine Insel „Kunst“, genauer gesagt das Musiktheater, das Detlev Glanert im Interview mit uns so zutreffend als „komplette Utopie“ beschreibt, in der aus dem Zusammenkommen von Worten, Bildern, Tanz und Musik etwas Größeres entsteht.%weiter%Utopie erscheint einem heute mehr als sonst als passendes Wort, denn das, was in dieser Branche so problemlos möglich zu sein scheint – nämlich das harmonische Zusammenarbeiten von Menschen mit verschiedensten ethnischen, religiösen und nationalen Hintergründen für den höheren, verbindenden Zweck – rückt in der aktuell mehr als ernüchternden Realität in immer weitere Ferne. Hier im „echten Leben“ schrumpft das gemeinsam an einem Strang Ziehen auf einen immer kleineren Makrokosmos zusammen, und alles, was außerhalb der eigenen kleinen Blase liegt, wird in verzerrt von außen geschürter Angst argwöhnisch beäugt und nach altbewährter Rezeptur Arm gegen noch Ärmer ausgespielt.
Es ist ein wohltuendes Gegengewicht zum tagesaktuellen Geschehen, sich Monat für Monat mit dieser „Utopie Musiktheater“ auseinanderzusetzen und neutral, aber zunächst wohlwollend beobachtender Zeuge von sich stets wandelnder Kreativität sein zu dürfen. Gerade hier in der Kunst zeigt sich jedoch auch immer wieder, welch kompliziertes, komplexes und leider auch leicht korrumpierbares Gut eben jene Neutralität ist. Und selbst die vermeintlich so freie Kunst ist nicht immer frei, nie gänzlich unabhängig vom Orbit von Politik und öffentlicher Meinungsmache. Nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch heute noch – gerade in Staaten von eher schwachem demokratischem Gepräge – ist für hochrangige Künstler die Nähe zu politischen Entscheidern unabdingbar, wenn man weiterhin vorne dabei sein, sich die schrumpfenden Etattöpfe sichern will. Die schöne Kunst – einerseits gefürchtet wegen ihrer Macht über die Herzen der Menschen, und doch hinter den Kulissen verflochtener mit der schnöden Politik, als dem ein oder anderen vielleicht bewusst oder lieb ist.
Wie schön wäre es, wenn sich das, was wir vom berückenden Utopia Musiktheater an Tugenden und Vorbildern mitnehmen können, noch stärker auf das wahre Leben übertragen ließe; wenn die humanistischen Lehren, die unser Titelkünstler Michael Hofstetter bei Christoph Willibald Gluck findet, auch uns wieder zu ganzheitlicher, patent und verständig denkenden Menschen machte; wenn uns die akribische Wiederentdeckung und -belebung von Künstlern und Komponisten, die aufgrund ihrer Herkunft ab 1933 von den Bühnen verschwanden oder ins Exil gingen, lebhaft daran erinnern würde, dass heute wieder sehr ähnliche Kräfte am Werk sind und Geschichte sich sehr wohl wiederholen kann, wenn man nicht aufpasst. Denn so metaphorisch und enigmatisch ist die Kunst gar nicht, nur weil sie vielleicht ein paar mehr Jahre auf dem Buckel hat als wir. Sie ist vielmehr ihrerseits ein sehr lebendiger und beredter Zeitzeuge, dem zuzuhören sich lohnt.
Ich hoffe, dass auch diese neue Ausgabe mit ihrem detaillierten Ausblick auf spannende neue Opernprojekte, dem breit gefächerten Rückblick auf die zurückliegenden Produktionen und Vorstellungen, den Sie von uns kennen, und den ganz unterschiedlichen Gesprächspartnern wieder die ganze Faszination Oper vermitteln kann – und vielleicht schätzen Sie ja wie wir das unermessliche Privileg, dass es uns erlaubt, mit so viel Muße und Leidenschaft immer wieder in dieses „Utopia“ abzutauchen. Sie alle halten es mit Ihrem Interesse, Ihrer Meinung und Ihrer Wertschätzung am Leben.||
Ihre Yeri Han