EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 2/2017
Licht und dunkle Schatten: Das Jahr 2017 hat so disparat und in Extremen begonnen, wie das vorangegangene geendet hatte. Während so mancher Europäer immer noch irritiert bis verständnislos über den Atlantik schaut zu einem neuen US-Präsidenten, der Ängste und Vorurteile schürt, gezielt auf Spaltung, nicht auf Einigkeit setzt und, nebenbei bemerkt, Begriffe wie Kunst und Kultur bislang in seinen politischen Statements für nicht erwähnenswert zu halten scheint, wirken auch bei uns starke auseinanderstrebende Kräfte, einige davon in beängstigende Richtungen.
Weiter →An einem Theater verlassen gleich mehrere Ensemblemitglieder das Haus, weil sie sich in einem zunehmend fremdenfeindlichen Umfeld nicht mehr sicher fühlen. So geschieht es jetzt in Altenburg/Gera. Das geht uns alle an, wo und wie auch immer wir von derartigen Vorfällen Kenntnis bekommen.
Da tut es gut, sich all die positiven Kräfte zu vergegenwärtigen, die, im Großen wie im Kleinen, unbeirrt gegenhalten, auch und gerade an den Theatern. Und wenn in diesen Wochen auch die Politik Flagge zeigt in Sachen Kultur, unterstreicht sie damit gleichzeitig sehr deutlich deren gesellschaftliche Relevanz. In Dresden, nur 100 km Luftlinie von Altenburg/Gera entfernt und als „Pegida“-Aufmarschplatz selbst ein gefährdetes Pflaster, wurde just zur richtigen Zeit ein neues kulturelles Kraftwerk geschaffen, in dessen Mitte sich von nun an auch die Staatsoperette tummeln darf. Ein wichtiger Impuls für die Stadt und ihre Bewohner, der weit über die Region hinausstrahlt. Und es spricht für sich, dass sich die bundesdeutsche Staatsspitze Mitte Januar zur Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie versammelte, um auf diese Weise mit Nachdruck eine Kernaussage in die Welt zu senden: Unsere Kultur ist uns wichtig, Musik ist wichtig, für den Einzelnen und für die Gesellschaft.
Auch in der Oper ist das verbindende Element – das Musizieren wie das gemeinsame Erleben – ein ganz wesentlicher Faktor, egal wer auf der Bühne singt, im Graben spielt, im Zuschauerraum sitzt. Wo, wenn nicht hier, wären einende Kräfte stärker (und schöner) spürbar? Umso wichtiger, dass unsere Opernhäuser, Theater und Konzerthallen erhalten bleiben und verantwortungsvoll bespielt werden. Das stellt alle Beteiligten immer wieder vor neue Herausforderungen. Sind einerseits die Ansätze, attraktive Programme zu kreieren, erfreulich vielfältig, müssen wir uns andererseits von so manchem einst verlässlichen Erfolgsgaranten verabschieden. Repertoirehits ziehen längst nicht mehr ohne weiteres, rein aufmerksamkeitsheischender Regie-Aktionismus greift immer öfter viel zu kurz und spielt auch schon einmal die Ränge leer. Ein Opernhaus kann durch seine ruhmreiche Geschichte noch so berühmt, ein Konzertsaal noch so traditionsreich, ein Gebäude durch prunkvoll-historische oder prägnant-moderne Architektenhandschriften ein noch so attraktiver Besuchermagnet sein: Sie alle bleiben leere Hüllen, wenn das Publikum nicht Abend für Abend mit Vielfalt, Qualität und Anspruch immer wieder neu gewonnen wird. Dass ein so ikonografisches Bauwerk wie das „Opern-Ei“ in Valencia über Jahre Probleme haben konnte, in der eigenen Stadt überhaupt als interessante Stätte des Musiktheaters wahrgenommen zu werden, ist bezeichnend. Auch das Spektakuläre schwächt sich in seiner Sogwirkung ab. Doch welche Wege, welche Strategien sind wirklich zielführend? Die Verantwortlichen für die Wiener Staatsoper fühlen offenbar trotz der aktuell so beneidenswert konstanten, hohen Auslastungsquoten, die Direktor Dominique Meyer in seinen Spielzeiten souverän einfährt, eine Notwendigkeit, die Weichenstellung für die Zukunft neu zu justierten und ab 2020 mit dem Quereinsteiger Bogdan Roscic auch andere Wege auszutesten. Ob und wie es gelingen kann, das treue Stammpublikum zu halten und gleichzeitig neue Zuschauerkreise anzusprechen, ist hier wie in all den anderen Kraftwerken des Musiktheaters eine der wesentlichen Fragen, die uns in den kommenden Jahren beschäftigen werden.