EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 2/2015
Kaum begonnen konfrontiert uns das noch junge Jahr 2015 auf schmerzvolle, albtraumhafte Weise mit den Abgründen dieser Welt. Die hat sich keineswegs erst mit den Anschlägen in Paris so beängstigend verändert; aber sie hat uns an diesem 7. Januar überdeutlich eines ihrer abscheulichsten Gesichter gezeigt.
Weiter →Da gehörte es sicher nicht zu den unpassendsten
Gelegenheiten in diesen Tagen der erfreulich zahlreichen symbolträchtigen Gesten, in der französischen Hauptstadt ein großes Konzerthaus zu eröffnen und somit auch kulturell ein Zeichen zu setzen. Genau eine Woche nach den Anschlägen sorgte das Eröffnungskonzert in der neuen Philharmonie de Paris für den angemessenen Rahmen, der Terroropfer zu gedenken, Einigkeit zu demonstrieren, dabei die so wesentliche Bedeutung kultureller Grundlagen zu betonen und in diesem Sinne bei aller Trauer, Angst und Bestürzung auch ganz bewusst und selbstbewusst nach vorn zu schauen.
Es ist die Realisierung eines über Jahrzehnte geplanten und gegen manche
Widerstände durchgesetzten Großprojektes, das, wie viele ähnliche Bauvorhaben, im Entstehungsprozess mit etlichen Problemen zu kämpfen hatte. Der Architekt Jean Nouvel ist den Feierlichkeiten am Ende gar demonstrativ ferngeblieben, da er den Eröffnungstermin immer noch für verfrüht hielt, obwohl nach ursprünglicher Planung gerechnet die Fertigstellung des multifunktionalen Musentempels, der mit seiner flexiblen Saalstruktur neben klassischen auch Rock- und Popkonzerten ideale akustische Bedingungen bieten soll, bereits um einiges zu spät dran ist. Um ein Dreifaches teurer ist der Bau auch geworden. Frankreichs Staatspräsident François Hollande ließ diesen heiklen Punkt in seiner Eröffnungsrede nicht aus, Leuchtturmprojekte seien halt sehr, sehr teuer, viel teurer, als geplant – und erlaubte sich nonchalant mit der Relativierung „weniger als anderswo“ einen Seitenhieb auf den großen Nachbarn im Norden: Ähnliche Projekte wären in Deutschland doppelt so teuer.
Konkret gemeint war Hamburg mit seiner Elbphilharmonie, für die es derweil ebenfalls einen konkreten Eröffnungstermin gibt. Im Januar 2017, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach dem prachtvollen französischen Neubau im Parc de la Villette, soll auch das neue Wahrzeichen an der Elbe in den aktiven Konzertmodus schalten. Dass das bald sieben Jahre nach dem ursprünglich avisierten Termin liegt, wird dann wohl ähnlich schnell vergessen sein wie die vielen langwierigen, teils hochpolitischen Debatten um die Pariser Philharmonie, deren Grundgedanke als wesentlicher Bestandteil der einst von Pierre Boulez maßgeblich initiierten Cité de la musique ja bis weit in die 1980er-Jahre zurückreicht. So gesehen ist das Hanseatische Pendant planungstechnisch geradezu im grünen Bereich.
Das Bemerkenswerteste hier wie dort ist eine offenbar unwiderstehliche Sogwirkung im kulturellen Sektor, die an Elbe und Seine einen regelrechten Bauboom ausgelöst hat: In Paris ist im November mit dem Auditorium de Radio France bereits ein weiterer neuer Konzertsaal eingeweiht worden (1461 Plätze), in Planung ist außerdem ein großangelegtes Kunstareal auf der Seine-Insel Seguin, ebenfalls kreiert von Nouvel und ebenfalls mit einem Auditorium. In Hamburg sind gerade ein zweites großes Musicaltheater im Hafen sowie ein kleiner, nach Tschaikowsky benannter Konzertsaal eröffnet worden, Anfang März 2015 wird das multifunktional angelegte Theater am Großmarkt (2400 Plätze) mit einem Konzert des London Symphony Orchestra seinen Spielbetrieb aufnehmen, im Mai soll südlich der Elbe im Harburger Binnenhafen noch eine weitere, vielfältig nutzbare Kultureinrichtung folgen.
Das sind, zumal in dieser geballten Fülle, großartige Neuigkeiten, nicht allein für die Bewohner der beiden Metropolen. Nun wollen all diese lobenswerten Projekte auch langfristig mit Leben gefüllt werden und sich als sinnvolle Investitionen rechtfertigen, die ihre Bedeutung neben etwaiger überregionaler Strahlkraft auch und vor allem in der lokalen Verankerung der jeweiligen Institutionen finden müssen. Hier hat die neue Pariser Philharmonie zweifellos eine vorbildhafte Rolle übernommen, ganz so, wie es ihr – programmatisch wie strukturell – durch ihre Positionierung innerhalb der Cité de la musique von Beginn an zugedacht war. Seit Jahren nimmt man sich hier beispielhaft offensiv der Herausforderungen unserer Zeit an, und so verwundert es nicht, dass auch im Jahresbudget des neuen Konzertsaales eine beträchtliche Summe für diverse „Education“-Projekte vorgesehen ist, mit denen man nicht nur jüngeres Publikum rekrutieren, sondern vor allem auch kulturelle Brücken bauen will zu den unmittelbar vor der Tür liegenden ärmeren Stadtgebieten mit ihrem hohen Migrantenanteil. Auch dies ist fraglos eine wichtige Investition in unsere Zukunft.