EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 06/2023|
Die neuen Spielzeiten sind größtenteils angekündigt, die warmen Temperaturen lassen die Lebensgeister steigen – und langsam, aber sicher liegt nun auch schon ein wenig Festspielstimmung in der Luft, die sich vorfreudig mit den letzten Premieren der laufenden Spielzeit vermischt. Die „theaterfreien“, aber alles andere als opernlosen Wochen können den Sommer mit ihrem Potpourri eines breit gestreuten Angebots wie eine gute Kür garnieren und präsentieren in diesem Gala-Gewand jedes Jahr aufs Neue fast die ganze Klaviatur dessen, was Musiktheater und Klassik zu bieten imstande sind – oder bevorzugt sein wollen. |%weiter%Angesichts der Hülle und Fülle an Stilrichtungen und Namen, die sich dem Konsumenten darbietet, suchen die einen sich eine thematische Nische als besonderes Alleinstellungsmerkmal, andere verpflichten sich dem Einbinden einer ganzen Region wie etwa das Musikfest Bremen sowie dem sorgsamen Kuratieren und Präsentieren von vielversprechenden jungen Künstlern; andere setzen voller (und oft auch künstlerisch zu einhundert Prozent berechtigter) Überzeugung Jahr für Jahr auf bewährte und gern gesehene Kräfte, während noch einmal andere ihr „Selbstrennertum“ beharrlich mit Namen untermauern, die als besonders zugkräftig gelten und folglich ein hohes Publikumsinteresse und einen gewissen Glamour versprechen.
Bekannterweise bedeutet nicht alles, was glänzt, am Ende auch ein seelisch wie akustisch erfüllendes Opernvergnügen, denn wie Sie selbst wahrscheinlich nur zu gut wissen, liebe Leser, hat ein wohlklingender Name nicht automatisch auch ein fantastisches Erlebnis zur Folge. Gerade in einer Branche, in der weder das Aussehen noch die Herkunft über das entscheiden, was unser Herz im Opern- oder Konzertsaal berührt, sondern in erster Linie das, was Sänger mit ihrer Stimme und Musiker auf ihren Instrumenten vollführen, ereilt uns das Fantastische und Unvergessliche doch ganz unabhängig von Rang und Namen. Und genau das ist es, was uns offen hält für Neues, für neue Werke, die uns bisher unbekannt waren oder die wir vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt unseres Lebens nicht besonders mochten; für neue Künstler, denen es gelingt, uns mit ihrer Darbietung so zu berühren, dass wir sie nur zu gern zu unseren anderen persönlichen Lieblingen reihen. Denn nicht nur Künstler entwickeln sich mit jeder Vorstellung, jeder Rolle, jeder Inszenierung weiter oder stellen fest, dass sie je nach Tagesform oder Lebensstadium andere Aspekte in vermeintlich Bekanntem entdecken – auch wir, ihre Zuschauer, tun das und haben den Luxus, ganz aus dem Genuss und der Passion heraus das große weite Blumenfeld in alle Richtungen abzuschreiten, mal hier, mal dort zu verweilen und so anhand der Musik, die uns durchs Leben begleitet, immer wieder Neues über uns selbst zu lernen. Manches bleibt eine Konstante, anderes kommt, anderes geht, manches überrascht, enttäuscht oder (besonders traurig) langweilt uns, aber wichtig ist, dass wir in Bewegung bleiben, nicht in Stagnation und reine Nostalgie flüchten, sondern der uns umgebenden Gegenwart und uns erwartenden Zukunft immer wieder eine freundlich-zugewandte Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen und uns dadurch die so schöne und bereichernde Bereitschaft zu erhalten, uns angenehm überraschen zu lassen.
Ich hoffe, dass auch diese Juni-Ausgabe bei Ihnen Vorfreude auf das, was kommt, schürt, und wünsche Ihnen wie immer eine schöne und hoffentlich inspirierende Lektüre!||
Ihre Yeri Han