EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 04/2023|
Im bezaubernden, aber leider auch erschreckend schlecht besuchten »Don Pasquale« in Hamburg war vor einigen Tagen dieser gemurmelte Satz zu vernehmen: „Es sind wirklich wenig junge Leute hier – hoffentlich stirbt die Oper nicht weg, das wäre doch sehr schade.“ Um es ein wenig zu relativieren: Es waren bei genauerem Hinsehen durchaus einige junge Zuschauer anwesend – alarmierend war vielmehr, wie wenige Menschen insgesamt in eine im Vorfeld gut beworbene und sehr attraktiv besetzte Vorstellung gekommen waren. Es ist die Frage, die Opernmacher immer wieder umtreibt: Wie erreicht man zuverlässig eine zahlreiche und vielfältige Zuhörerschaft? Auch wenn man sich auf dem Reißbrett ein paar Kriterien zurechtlegen und sich an diesen orientieren kann, gibt es kein Geheimrezept für das, was in der Breite und vor allem auch langfristig eine solide Publikumsmasse ins Theater lockt. Ohne eine »Bohème« geht es nicht, heißt es auf der einen Seite, auf der anderen ist das Bedürfnis nach Neuem und frischen Impulsen ebenfalls groß.%weiter%Bedient wird dies meistens mit den gelegentlichen Ur- oder Erstaufführungen, die zumindest in der ersten Aufführungsserie ordentlich Publikum ziehen. Nach einem solchen „Leuchtturm“ aber wird es thematisch zumeist wieder konservativer oder man versucht es weiter mit dem probaten Mittel der Neudeutung des Repertoires.
Oper der Zukunft könne aber nicht allein auf „German stagings“ bauen, war man sich aktuell in einem Komponisten-Panel in Amsterdam einig. „German staging“ meinte das sogenannte Regietheater, und Unrecht hatte der Sprecher damit sicherlich nicht. Polarisierende Inszenierungskonzepte allein können nicht die Lösung sein. Doch neue Themen und Kreationen, die das geliebte Repertoire organisch, nicht mit der Brechstange ergänzen, müssen von uns die Zeit und den Raum bekommen, um sich bewähren zu können, dem Publikum bestenfalls mit begleitenden Programmen und Initiativen nähergebracht werden, um den Sprung, den das für den ein oder anderen vielleicht bedeutet, zu verkürzen. Produktionen wie »Blue« in Amsterdam oder zuletzt auch »Perle Noire« im Rahmen des demografisch beglückend durchmischten Opera Forward Festivals, aber auch die Schweizer Premiere von »The Time of our Singing«, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Richard Powers, beweisen, wie interessiert die Menschen an gesellschaftlich relevanten Themen sind und wie bereit und offen zur gedanklich-emotionalen Weiterbildung. Das Vorhandensein einer thematischen Brücke als Anknüpfungspunkt kann dies erleichtern – sei es die reale Gestalt von Joséphine Baker oder die beliebte und viel gelesene Buchvorlage wie die von Richard Powers in St. Gallen oder Khaled Hosseinis „Tausend strahlende Sonnen“, das in Seattle als Oper seine Uraufführung hatte. Als ein Weg für die Zukunft scheint sich dabei mehr und mehr die Verblendung von Disziplinen herauszukristallisieren und zu bewähren. Operngesang neben gesprochenem Wort neben Tanz neben anderen Musikstilen – das funktioniert auch für das ans traditionelle Opernrepertoire gewöhnte Ohr und belebt die zeitgenössische Erzählung mit entsprechend zeitgenössischen und dennoch vertrauten Elementen. Nicht jede dieser Neukreationen wird eine Zukunft und nicht jede vielversprechende, inhaltlich hochrelevante Kurzoper automatisch das Zeug haben, um zum abendfüllenden Werk ausgebaut zu werden – so war es früher und so wird es immer sein. Doch es ist jedem Theater hoch anzurechnen, das einem neuen Werk eine zweite, dritte Chance zugesteht, denn ohne solche Chancen bleiben Neukompositionen nur einem sehr kleinen Publikum vorbehalten und bekommen nie die Gelegenheit zu atmen, immer wieder neu geformt zu werden. Vielleicht fände ein Stück, das an seinem Uraufführungsort auf verhaltenes Echo gestoßen ist, andernorts großen Anklang – das lässt sich jedoch nur herausfinden, wenn es weitergespielt wird und nicht sofort wieder im Archiv verschwindet.
Die europäische Avantgarde des vergangenen Jahrtausends habe viele verschreckt und verprellt, heißt es oft, auch unter Komponisten. Die letzten Jahre beschreiten da oftmals eher einen anderen Weg, wie sich gezeigt hat; neue Musik ist nicht länger gleichbedeutend mit den gefürchteten, intellektuellen Dünkel bedienenden abstrakten Dissonanzen, sondern erzählt ihre Geschichten in plausibleren Ausdrucksformen und voller inhaltlicher Anknüpfungspunkte. Das macht Hoffnung für die kommenden Jahrzehnte, sodass zu wünschen bleibt, dass weiterhin genug Mut und Ressourcen aufgeboten werden, diese Oper der Zukunft mitzuformen und möglichst vielen zugänglich zu machen. Das Interesse ist da. Ich hoffe, dass auch diese Ausgabe, die eine weite Spanne öffnet zwischen zahlreichen Uraufführungen, einem historisch informierten »Rheingold« bis hin zu Händelfestspielen, Ihnen, liebe Leser, wieder einiges an Impulsen und Spannendem aus der großen Welt der Oper nach Hause trägt.||
Ihre Yeri Han