
EDITORIAL
Autorin: Y. Han · Ausgabe 01/2026||Das Jahr 2025 geht zu Ende – ein weiteres von inzwischen einigen, die sich für viele vielleicht beschwerlich, krisenbehaftet beziehungsweise -belastet oder kurz: „suboptimal“ angefühlt haben. Bei allem schönen, was alle mit dem Privileg eines weitestgehend von existenziellen Sorgen befreiten Lebens in den vergangenen Monaten wieder erleben durften; auch die so oft als „Blase“ verschriene Hochkultur verfärbt sich zunehmend, ist nicht mehr ganz frei von „weltlichen Problemen“ und Zweifeln. Da ist das Hadern mit Publikumsschwund und dem fehlenden „Geheimrezept“ dagegen, auch wenn wir wieder einmal mit Menschen sprechen durften, aus deren Warte es gar kein so großes Geheimnis ist, für gute Theatermomente zu sorgen; da ist der um sich greifende Schwund an Kulturförderung, der Theatermachen auf hohem Niveau empfindlich erschwert.%weiter%Und auch hier: das Gefühl von Spaltung und unversöhnlicher werdender Lagerbildung – sei es in Sachen Toleranz gegenüber modernen oder auch radikalen Konzepten, deren Aussage dem Zuschauer nicht bequem auf dem Silbertablett präsentiert wird; aber auch was den zeitgemäßen, empathischen Zugriff auf Werke im Licht von Kunstfreiheit wie Respekt vor dem Original anbelangt. Kunst ist ein organisches, sich zwangsläufig mit uns weiterentwickelndes Ding, schließlich wurde sie von und für uns erschaffen. Debatten werden in diesem Kraftfeld immer notwendig sein – und fruchtbar, aber nur wenn sie mit Respekt und weniger Empörung geführt werden, eine Fähigkeit, die uns, während wir in der gefühlt diskurs- und disputreichsten Zeit überhaupt leben, abhanden gekommen zu sein scheint, und das während im Wilden Westen des Internets jeder seine Meinung wie ein Laubbläser hinausposaunen kann, egal wie uninformiert und ignorant, egal wie wenig noch Grundregeln des Respekts voreinander eingehalten werden. Innerhalb dieser unzähligen Mikrokosmen, die jeder sich erschafft, scheinen einstmals verbindliche Regeln des Miteinanders mehr und mehr an Bedeutung zu verlieren – warum sollte man auch an ihnen festhalten, wenn es offenbar ohne sie ebenfalls funktioniert und es nicht mehr so schlimm ist, wenn der moralische Kompass ein wenig schlingert?
Vor dem Hintergrund muss es vielleicht auch nicht verwundern, wenn ein Künstler sich jüngst auf Instagram stolz an der Seite von Putin zeigt und über die Auszeichnung zum Volkskünstler freut und gleichfalls bekannte Namen begeistert gratulieren – offenbar ohne ein Störgefühl dabei zu empfinden. In Zeiten, in denen wachsende Teile der Welt sich aktiv für Autokraten und Populisten entscheiden, werden wir uns nicht wundern müssen, wenn auch die so sehr für ihre Freigeistigkeit und Freiheit geliebte und hochgehaltene Kultur in gar nicht so weit entfernter Zukunft einen noch schmerzhafteren Preis zahlen muss als jetzt, wo die Kürzung von Zuschüssen schon großes Unwohlsein bereitet. Da muss man gar nicht so weit wie bis zu den Bücherverboten wie in den USA gehen – auch der Skandal im Herbst um die bisher gar nicht so für ihre musikalischen Verdienste bekannte Meloni-Vertraute, die Musikdirektorin des La Fenice werden soll, weckt ungute Gefühle, wenn man sich hierzulande ins gar nicht so unrealistische Szenario reindenkt, dass Populisten in immer weiteren Landesteilen alarmierend viele Stimmen bekommen – die ihnen über kurz oder lang einflussreiche Posten ermöglichen werden. Was das wohl für die Kultur bedeutet?
Ich wünsche Ihnen und uns allen zum Jahresausklang, dass wir uns mit der Liebe zur Kunst im Herzen auch wieder die Wichtigkeit von Empathie und Solidarität ins Bewusstsein zurückrufen – für eine optimistisch stimmende Zukunft, aber auch eine gesündere Debattenkultur. Beides täte uns gut, und dafür können wir sehr wohl auch schon im Kleinen etwas tun und einen Unterschied machen. Kommen Sie gut ins neue Jahr!||
Ihre Yeri Han