In kurzer Abfolge legten im Februar zwei der größten Operndiven unserer Zeit breitenwirksamste Visitenkarten aus – und zwar jeweils nicht mit klassischem Programm und zudem in einem Umfeld, das so gar nicht an elitäre Hochkultur und vermeintliche Barrieren denken ließ: Renée Fleming beim Superbowl-Finale, Anna Netrebko bei der Olympia-Eröffnung. In New York saßen über 80.000 Fans im Stadion, 800 Millionen verfolgten die Übertragung weltweit am Bildschirm, in Sotschi waren es „nur“ 40.000 vor Ort, dafür rund 3 Milliarden TV-Zuschauer. Und die beiden Opernstars mittendrin!
Jenseits aller politischen Dimension derartiger Auftritte, die insbesondere im russischen Fall zu Recht kritisch diskutiert wird, ist doch auch ein schönes Signal von diesen beiden Künstlerinnen ausgesendet worden: Klassische Musik und ihre Interpreten gehören längst wieder in die Topkategorie der Musikbranche. Denn machen wir uns nichts vor: Zu einem Event wie dem Superbowl-Finale werden nur die absolut Größten eingeladen, schließlich geht es hier um vorzugsweise astronomische Einschaltquoten. Renée Fleming hat es nun in der Historie des größten TV-Events der USA als erste Opernsängerin überhaupt in diesen Olymp geschafft. Hut ab!
Wir können uns glücklich schätzen, dass das Musiktheater immer wieder derartige Ausnahmekünstler hervorbringt. Und es gibt derer ja aktuell sogar noch einige mehr. Das Beste daran: Sie alle rechtfertigen ihren Status Abend für Abend auf den Bühnen, was eben doch weit mehr wert ist als jedwede noch so gut angelegte PR-Strategie, wie sie uns noch um die Jahrtausendwende mit „gemachten“, lediglich CD-tauglichen und daher auch bald wieder verschwundenen Stars zu beeinflussen suchten. An dieser selektiven Gesundung der Opernszene hatten und haben auch Sie, liebe Leser, als aufgeschlossenes aber kritisches Publikum einen gehörigen Anteil, indem Sie kenntnisreich unterscheiden, wo die eigentlichen Qualitäten liegen.
Erstklassige, mitreißende Vorstellungen, von denen wir auch in dieser Ausgabe wieder berichten dürfen, lassen uns gern vergessen, wie viel persönlicher Einsatz hinter der physischen wie psychischen Extrembelastung Operngesang stecken. Eine Karriere im Musiktheater ist nur vordergründig glamourös; der große Rest ist harte Arbeit. Nach intensiver Ausbildung folgt lebenslanges Training, vertiefende Studien, konsequente Stimmpflege – und: Lernen, Lernen, Lernen. Neben der Einstudierung neuer Partien sind das Weiterentwickeln und Abrufbarhalten bekannter Rollen unerlässlich, ebenso – leider vielfach unterschätzt – das gewissenhafte Arbeiten an Sprache und Artikulation. Das alles setzt nicht nur eine körperliche sondern auch eine mentale Stärke voraus, die Flexibilität und ein schnelles Reaktionsvermögen ermöglicht: ständig wechselnde Herausforderungen, auch szenischer Art, dazu insbesondere im Repertoirebetrieb des Ensembletheaters ein stetes Hin und Her zwischen den Stilen, sowie natürlich ein permanentes Reagieren auf die Sängerkollegen und die durchaus sehr unterschiedlichen interpretatorischen Signale aus dem Graben. Da ist höchste Konzentration gefordert. Wie faszinierend ist da schon allein die Fokussierung eines Ausnahmekünstlers wie Plácido Domingo, bei seiner aktuellen Baritondebüt-Parade nicht doch einmal mit dem einst gesungenen Tenorpart einzusetzen…
Und „live“ heißt eben auch, etwaige Spontaneitäten abzufedern: Ich erinnere mich noch sehr gut an ein wunderbares Gespräch mit der unvergessenen Joan Sutherland, die mir in ihrer hinreißend amüsanten Art von den unterschiedlichen »Lucia«- oder »Traviata«- Versionen berichtete, die sie aufgrund rasant wechselnder Tenöre und deren jeweiliger Abendverfassung zu verinnerlichen hatte. Überhaupt kann die Fassungsproblematik bei einigen Werken ja selbst den Zuhörer zuweilen gehörig durcheinanderbringen.
Wer all das als Künstler bewältigt und dazu auch noch die nicht unerheblichen Nebenwirkungen einer großen, internationalen Karriere – hochfrequente Reisetätigkeit, wenig Privatleben – in Kauf zu nehmen bereit ist, kann ein beglückendes Leben für die Musik, für die Oper führen. Nicht umsonst spricht Christiane Karg, Titelkünstlerin dieser Ausgabe, von einem „Leben am Limit“, das sie gleichwohl sehr bewusst gewählt hat und begeistert weiter ausbaut. Kiri Te Kanawa, die noch immer sehr beliebte Sopranistin mit der außergewöhnlichen Karriere, stellt derweil erst angesichts ihres bevorstehenden 70. Geburtstages lakonisch fest: „Es ist an der Zeit, das Leben zu leben, für das ich all die Jahre gearbeitet habe.“ Es sei ihr von Herzen gegönnt. Happy Birthday, Dame Kiri!