EDITORIAL
Autor: Y. Han · Ausgabe 7-8/2020
Liebe Leser, es liegen bekanntermaßen turbulente Zeiten hinter uns allen, und doch hat sich zuletzt mehr getan, als man zunächst erwarten und erhoffen konnte. Es ist uns daher eine große Freude, genau mit der traditionellen alljährlichen Sommer-Doppelausgabe – der „Festspielnummer“ – früher als erwartet wieder die Rubrik „Aufführungen“ drucken zu können. Es gibt wieder – wenngleich in kleinem Rahmen – Live-Musik, und: Es wird den Festspielsommer geben, mit dem zunächst niemand mehr zu rechnen gewagt hätte. Nach dem Paukenschlag, dass die Bayreuther Festspiele ebenso wie zahlreiche andere Veranstaltungen des Sommers abgesagt wurden, können wir uns nun zumindest auf ein modifiziertes, tolles Salzburger Festspielprogramm, Liederabende in Zürich, die Innsbrucker Festwochen und zahlreiche Hoffnungssignale aus Italien wie Pesaro, Verona, Macerata, Ravenna und Torre del Lago freuen. Wer hätte das bis vor kurzem noch gedacht?
Weiter →Es liegen Ausgaben hinter uns, die unter ungewöhnlichen Umständen entstanden sind, teilweise deutlich anders ausgesehen haben, als Sie es von uns gewohnt sind – gleichzeitig haben Sie, liebe Leser, uns mit stetem Zuspruch auf einem zuzeiten mühseligen Weg aber auch bestärkt und sich nicht nur offen, sondern regelrecht begeistert gezeigt über die alternativen Berichte und neuen Rubriken, die „Aufführungen“ und „Rundblick“ übergangsweise ersetzen mussten. Dennoch ist es eine große Freude und auch Erleichterung, dass nun auch wieder Live-Musik ihren Weg zurück ins „Opernglas“ gefunden hat – dies sind, auch wenn wir noch immer weit von einem Soll-Zustand entfernt sind, sicherlich erste wichtige Hoffnungszeichen, die auf einen allgemeinen Aufwärtstrend hindeuten. Kultur ist allen Widrigkeiten zum Trotz resilient, und Intendanten und Künstler haben zuletzt gezeigt, dass sie nicht – im wahrsten Sinne des Wortes – sang- und klanglos kapitulieren wollen. Was die neue Spielzeit bringen wird, muss die Zeit zeigen.
Außer den ersten Konzert-Berichten seit der Corona-Zwangspause dürfen in unserer Sommerausgabe natürlich auch die zahlreichen Interviews nicht fehlen. Wir haben – nach den persönlichen Corona-Kolumnen in den zwei letzten Ausgaben – gezielt den Blick nach vorn zu richten versucht und setzen in dieser Nummer unsere beliebte Serie an Sängerpaar-Porträts fort, diesmal mit Nicole Car und Etienne Dupuis, die unaffektiert nicht nur Einblick in den Alltag als reisendes Sänger-Ehepaar und Familie geben, sondern auch freimütig ihre künstlerischen Vorstellungen und Wünsche umreißen. Uwe Eric Laufenberg und Guy Montavon sprechen über die Herausforderung, in diesen Zeiten wieder Live-Musik zu veranstalten und darüber, was vonnöten ist, um Kultur am Leben zu erhalten, Klaus Florian Vogt über Wagner und seine Alternativpläne zu Bayreuth; als Vertreterinnen des italienischen lyrischen Repertoires haben wir mit Anna Pirozzi und Lisette Oropesa zwei stimmgewaltige wie virtuose Sopranistinnen befragt. Die Kunst soll wieder in den Mittelpunkt rücken, und auch wenn die internationalen Signale aktuell noch stark variieren, scheint sich zumindest in Europa allmählich eine reelle Perspektive einzustellen.
Ich freue mich, Ihnen an dieser Stelle doch noch einen anregenden Festspielsommer wünschen zu können – wo auch immer Sie Ihren persönlichen Live-Festspielmoment erhaschen mögen. Doch vor allem, bevor das „Opernglas“-Team sich in den Sommer verabschiedet: herzlichen Dank für Ihre Treue, Ihre Aufmerksamkeit und Ihre Unterstützung in den vergangenen Wochen. Wir freuen uns schon darauf, im September unsere Eindrücke des Sommers mit Ihnen zu teilen.
Ihre Yeri Han