EDITORIAL
Autor: Y. Han · Ausgabe 5/2021
Der Frühling kommt, und mit den wärmeren Temperaturen beginnt das zaghaft-hoffnungsfrohe Spähen nach den Kulturveranstaltungen, die im Sommer 2020 schon den Corona-Schock in erfreulicher Weise durchbrochen hatten und auch dieses Jahr sicherlich stattfinden werden angesichts der immer breiter und schneller anrollenden Impfkampagne. Die ersten Kandidaten haben sich wie beherzte Vorboten bereits für Mai und Juni angekündigt – Glyndebourne will/wird ab Mitte Mai spielen, auch Garsington soll im Juni folgen, und auch für Südtirol, das bezüglich Inzidenzen gesondert vom restlichen Italien eingeordnet wird, stehen die Zeichen auf grün, ebenso wie in der Schweiz, wo aktuell im Zuge neuer Lockerungen wieder ein Spielbetrieb vor 50 Personen bewilligt wurde. Konnten auch Sie, liebe Leser, schon wieder eine Oper live sehen?
Weiter →Hierzulande wurde nach dem Berliner Pilotprojekt Anfang April indes auch der groß angekündigte saarländische Modellversuch beizeiten wieder zurückgerufen, auf den sich Kulturentwöhnte in ähnlichem Maße gefreut und gestürzt hatten wie in Berlin – ein wenig muss man sich also wohl noch gedulden, bis es uns gestattet sein wird, in den Konzertsaal zurückzukehren. Wie viele Kulturschaffende werden dann wohl noch da sein, wenn es soweit ist? Hinter der schillernden ersten Reihe der Stars, die es mehr oder weniger unbeschadet durch die Krise geschafft haben/schaffen werden, steht schließlich eine mehr oder weniger gesichtslose große Masse an ebenfalls in der Kulturbranche tätiger und zum großen Teil noch nicht so zugkräftige Namen tragender Menschen, die nach dem Corona-Berufsverbot Monate lang durch alle Systeme gefallen und unverschuldet in einer akuten Notlage gelandet sind, in der sie entweder Ersparnisse aufbrauchen oder Sozialgelder beziehen mussten. Wie der Deutsche Kulturrat jetzt eindringlich bekannt gab, droht zahlreichen Soloselbstständigen, die letzteres unbedingt vermeiden wollten und dafür jobben gegangen sind, aufgrund einer Zuverdienstklausel das Schicksal, wegen branchenfremder Zuverdienste, die 450 € übersteigen, gerade deshalb keine Hilfe von ihrer Künstlersozialkasse zu erhalten. Ein weiterer Schlag ins Gesicht für viele, die sich in den zurückliegenden Monaten ohnehin schon nicht gehört gefühlt haben.
Wie viele von diesen werden der Kultur für immer den Rücken kehren und in Jobs bleiben oder gehen, die ihnen auf Dauer mehr Sicherheit versprechen als die Kunst, die – wie auch andere Lebensbereiche und Berufszweige – hinter den übermächtigen Bedürfnissen der Industrie zurückstehen mussten?
Das Leben mag zwar immer weiter gehen und die Zeit sprichwörtlich alle Wunden heilen – auch das Musiktheater wird in der Post-Covid-Ära weiterspielen, mit packenden Inszenierungen und vielleicht geschmückt durch altbekannte große Namen; wie vielen aber die Chance, eines Tages ein ebenso großer Name zu werden, in diesen eineinhalb Jahren genommen wurde, werden wir wohl nie erfahren. Aber: Die Zuversicht ist eine der machtvollsten Emotionen des menschlichen Gefühlsrepertoires, und mit noch etwas Disziplin und Solidarität werden auch wir, so wie von der Politik unverdrossen suggeriert, hoffentlich bald wirklich das Tal durchschritten haben.