EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 3/2019
Klassische Musik und Oper als Pflichtprogramm im Unterricht! Das klingt doch eigentlich nach einer Lehrplan-Selbstverständlichkeit an deutschen Schulen. Ist es nicht, leider. Die Vorgabe ist dennoch ganz real und aktuell – im fernen Abu Dhabi am Persischen Golf. Diese erstaunliche Erkenntnis zählt zu den prägnantesten Eindrücken während meines Besuches in den Vereinigten Arabischen Emiraten Ende Januar anlässlich des Gastspieles der Bayreuther Festspiele. Damit nicht genug, denkt die dortige Bildungspolitik noch eine ganze Stufe weiter und erhebt das aktuelle Programm des lokalen Veranstalters für westliche klassische Musik gleich zum verbindlichen Unterrichtsthema. Und das in einem vom Islam geprägten Land im Nahen Osten. Da kann man sich schon mal verwundert die Augen reiben angesichts einer derartigen Offensive, die ein zwar kleiner, aber nicht unwesentlicher Teil eines groß gedachten Ganzen ist: „Die Strategie der Scheichs“ – nur eines von vielen spannenden Themen dieser März-Ausgabe.
Weiter →Der Zusammenhang ist offensichtlich. Bildung ist die Grundlage von allem. Auch wir Europäer, die wir doch so gern mit Stolz auf unsere Traditionen und Errungenschaften als große Kulturnationen blicken, wissen an sich sehr wohl um die Notwendigkeit der Vermittlung einer breiten Wissensbasis, die ganz wesentlich auch Themenbereiche einbezieht wie Musik, Theater, Literatur, Kunst... Unsere Kultur als umfassend gemeinter Sammelbegriff ist dennoch immer mehr zu einem stiefmütterlich gepflegten Sorgenkind in unserem Bildungssystem geworden. Heutzutage ist keineswegs mehr sicher, dass ein Konzertpublikum „seinen“ Beethoven kennt. Wer im schulischen Kontext keine Chance bekommt auf eine Begegnung mit den Sinfonien, dem Klavierwerk, der »Missa solemnis« oder »Fidelio«, um beim Beispiel zu bleiben, wird im späteren Leben weniger leicht für Oper und Konzert zu gewinnen sein. Längst wird daher ein Gutteil des „Bildungsauftrages“ von den Theatern, Opernhäusern und Orchestern selbst übernommen. Sie widmen sich dieser Aufgabe inzwischen derart kreativ und engagiert, dass die aufgelegten Programme durchaus nennenswerte Erfolge erzielen. Neues, interessiertes Publikum stellt sich ein, nicht selten mit langfristiger Bindung ans Haus.
Und doch ist es ein Armutszeugnis, wenn wir diese gesellschaftlich relevante Aufgabe einfach wegdelegieren und zusehen, wie Bund und Länder sich hier immer mehr aus der Verantwortung stehlen. Es ist eine Frage des politischen Willens, wie unser Bildungsniveau in diesem Bereich aussehen soll. Und, überspitzt formuliert, ob ein sachkundiges Publikum in Zukunft überhaupt noch gewünscht ist. Jede Investition in die Rettung eines Dreispartenhauses, die Tarifabsicherung eines A-Orchesters, in teure Theatersanierungen oder prestigeträchtige Neubauten – all diese nicht selten hart erkämpften Kulturinvestitionen sind letztlich unsinnig, wenn sie nicht einhergehen mit einer konstanten, konsequenten Hinführung an eben diese unsere Kultur.