EDITORIAL
Autor: R. Tiedemann · Ausgabe 5/2014
Die Nachricht kam völlig unerwartet. Und sie war ein Schock im amerikanischen Kulturbetrieb: Die San Diego Opera muss ihren Spielbetrieb einstellen – und das bereits mit der letzten Vorstellung dieser Saison, die just im April zu Ende ging. Nach der im vergangenen Jahr endgültig geschlossenen New York City Opera sollte es nun bereits die zweite große Opernkompanie in den Vereinigten Staaten erwischt haben? Nicht nur das treue Opernpublikum der Stadt reagierte entgeistert. Denn ungleich der NYCO, deren steter Niedergang sich als ein großer, epischer Abgesang monatelang durch alle Medien gezogen hatte, kam die Ankündigung der San Diego Opera wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Weiter →Seitdem kochen die Emotionen hoch in der zweitgrößten Metropole Kaliforniens. Ein ausgepfiffener Intendant, Uneinigkeit im Board, eine kurzfristige Millionenspende, Demonstrationen, Fristaufschub, eine tränenreiche Abschiedsvorstellung, verbunden mit der bangen Frage: Gibt es doch noch Hoffnung? So leicht wollen die Opernfans ihr Haus nicht aufgeben.
Unabhängig vom Ausgang dieses realen Musik-Dramas an der Ostküste der USA ist das Signal eindeutig. Es führt klar vor Augen, wie anfällig das dortige System der fördererbasierten Kulturfinanzierung ist. Denn als Hauptgründe werden neben einer rückläufigen Auslastung des knapp 3000 Plätze fassenden Saales auch zunehmend ausbleibende Spendenzuwendungen angegeben. Schon fühlte sich das Opernhaus in der benachbarten Filmmetropole Los Angeles genötigt, einen emphatischen Brief an die eigenen Freunde und Förderer auszusenden mit der Bitte um weiterhin tatkräftige Unterstützung – verbunden mit der zweifellos zutreffenden Diagnose einer „Tendenz, gerade die etablierten Institutionen für gesichert anzusehen“. Eine auch für uns sehr zutreffende Einschätzung.
Renée Fleming, die sich als Amerikas „Miss Opera“ auch abseits der Bühne nachdrücklich für das Musiktheater in ihrer Heimat einsetzt, benennt im aktuellen Interview einen weiteren ganz wesentlichen Punkt: Kunst muss zugänglich gemacht werden, wenn sie langfristig überleben, sprich ein breiteres Publikum ansprechen will. Und Begeisterung weckt man dort wie hier am nachhaltigsten bei Kindern und Jugendlichen, die in der Regel weit aufgeschlossener sind, wenn sie Veranstaltungen live erleben, Instrumente ausprobieren, Produktionen begleiten oder gar eigene Projekte gestalten können. Die Theater leisten hier seit Jahren Vorbildliches; doch ohne eine schulische Unterstützung, die dem Fach Musik eine ausreichende Wertigkeit im Lehrplan – und damit ganz generell in unseren Köpfen – zugesteht, können all diese wunderbaren Angebote nicht ihre volle Wirksamkeit erzielen. Eine Widersinnigkeit der Politik!
Zuweilen mag man kaum glauben, dass die Oper als eine mehr als vier Jahrhunderte alte Gattung weiterhin so überaus lebendig ist. Sie war dabei schon immer nicht nur künstlerischen, sondern auch strukturellen Veränderungen unterworfen. Und während der Fall der San Diego Opera die Amerikaner aufrüttelt, Italien als Mutterland der Oper längst vergangenen Blütezeiten nachtrauert, eröffnet im kasachischen Astana ein pompöser Musentempel, thront im fernen Peking bereits seit 2007 ein futuristisches Opern-Ei, sind in einigen weiteren chinesischen Metropolen ebenfalls Neubauten für das Musiktheater in Planung.
Und auch in den gar nicht so fernen arabischen Ländern investiert man im großen Stil in Sachen Oper. 2011 eröffnet, präsentiert sich das in allen Belangen faszinierende Royal Opera House Muscat heute als Maßstab auch für Theater-Neubauten in Europa. Wo der politische Wille für strategische Investitionen dieser Art vorhanden ist, wird vieles möglich: Im Oman steht nun das erste Opernhaus auf der arabischen Halbinsel als ein Traum aus 1001 Nacht. Dass da die Scheichs in den benachbarten Vereinigten Arabischen Emiraten nicht nachstehen wollen, versteht sich von selbst, längst sind in Abu Dhabi und Dubai ebenfalls großangelegte Spielstätten für das Musiktheater im Werden. Liegt die Zukunft der Oper jetzt am Golf?